Kurz & bündig
- Das Inforama bietet den Kurs «Landwirtschaft begreifen» seit drei Jahren an.
- Der Kurs umfasst 22 Tage und beinhaltet viel Praktisches.
- Die Teilnehmenden sind sehr heterogen bezüglich Alter und beruflichem Hintergrund.
- Der Kurs fördert das Verständnis für die Produktion von Lebensmitteln.
Es ist schwer einzuordnen, was für eine Gruppe sich am Inforama auf dem Schwand in Münsingen BE zum Mittagessen zusammengesetzt hat. Junge und ältere Menschen, Männer und Frauen, von hemdsärmlig bis chic, essen und reden. Über Landwirtschaft, in erster Linie.
Sie alle besuchen den Kurs «Landwirtschaft begreifen» am Inforama. Sie interessieren sich also für Landwirtschaft, aus den unterschiedlichsten Gründen. Am Vormittag lernten sie im Schulzimmer etwas über Betriebswirtschaft und wie das Landwirtschaftliche Einkommen zusammensetzt. Am Nachmittag steht ein praktischer Teil auf dem Programm: Die Teilnehmenden hängen eine Maschine an den Traktor des Gutsbetriebs an und können selber eine Runde mit dem Schlepper drehen.
Wieso dieser Kurs? Das fragten wir die Teilnehmenden, aber auch Kursleiter Benjamin Wiedmer. Wiedmer ist Ingenieur Agronom FH und am Inforama für die Organisation des Kurses «Landwirtschaft begreifen» zuständig. Zudem unterrichtet er in einem Teilzeitpensum Futterbau an der Landwirtschaftlichen Grundbildung.
Der Kurs «Landwirtschaft begreifen» richtet sich an alle, die sich für einheimische, nachhaltige Entstehung von Lebensmitteln interessieren. Geht es hier in erster Linie um Image-Pflege?
Benjamin Wiedmer: Das würde ich so nicht sagen. Die Teilnehmenden haben unterschiedlichste Hintergründe, Interessen und Ansichten. Wir ermöglichen ihnen mit dem Kurs den Zugang zu Landwirtinnen und Landwirten und Fachpersonen, damit sie Antworten aus erster Quelle erhalten.
Kommen primär Menschen in den Kurs, welche der Landwirtschaft gegenüber eine positive Grundhaltung haben?
Das ist gut möglich. Meines Erachtens herrscht unter den Teilnehmenden eine positive Grundeinstellung. Der Kurs dauert ein Jahr in bestehender Gruppe. Das schafft Zeit für gegenseitiges Kennenlernen und ermöglicht ein vertrauensvolles und konstruktives Lernklima. Eine besondere Qualität von diesem Format ist ausserdem, dass alle Jahreszeiten erlebt werden können.
Ist es Aufgabe des Inforamas, Kurse für die Nicht-Landwirtschaftliche Bevölkerung anzubieten?
Der Abstimmungskampf um die Agrarvorlagen vom vergangenen Juni hat gezeigt: Landwirtschaft bewegt alle. Und wir betrachten es als eine wichtige Aufgabe, der nicht landwirtschaftlichen Bevölkerung die Komplexität der Landwirtschaft 1:1 näher zu bringen. Wer «Landwirtschaft begreifen» besucht, wird ein deutlich differenziertes Bild haben.
Das Inforama bietet ein sehr umfangreiches Aus- und Weiterbildungsangebot an, das teilweise auch für Personen ohne landwirtschaftliche Grundausbildung zugänglich ist. Der Kurs «Landwirtschaft begreifen» ist von grossem Nutzen für Berufspersonen, die in einer verwandten Branche tätig sind.
Wie lange besteht der Kurs schon?
Seit drei Jahren.
Wie sind die Rückmeldungen?
Aufgrund unserer Evaluationen wissen wir: Die Rückmeldungen sind durchwegs positiv. Zudem erhalten wir viele Vorschläge an Inhalten, die sich für eine Fortsetzung eignen würden.
Was wird besonders geschätzt?
Die praktischen Einheiten überzeugen die Teilnehmenden am meisten. Überall dort wo die Sinne aktiv werden und Hand angelegt werden kann, nehmen Sie besonders viel mit.
Ist der Kurs selbsttragend?
Ja. Die 22 Kurstage kosten 2950 Franken pro Teilnehmer und können nur im Paket gebucht werden.
Wieso ist der Kurs wichtig?
Weil er fundiertes Wissen aus erster Quelle vermittelt und zwischen ProduzentIn und KonsumentIn Brücken baut.
Haben die Teilnehmenden am Ende des Kurses etwas Handfestes in der Tasche?
Es gibt keine Abschlussprüfung. Der Kurs kann nicht an eine landwirtschaftliche Ausbildung angerechnet werden und berechtigt nicht zum Bezug von Direktzahlungen. Bei mehr als 80 % Anwesenheit erteilt das Inforama eine Kursbestätigung.
Die Schulen sind offen für Interessierte
Ein mit dem Kurs «Landwirtschaft begreifen» am Inforama vergleichbares Angebot hat keine der anderen landwirtschaftlichen Schulen in der Schweiz.
Die Agridea bietet ein Basismodul «Landwirtschaft verstehen» an. In zwei Nachmittagskursen (aktuell online) bekommen Interessierte Informationen über die Rahmenbedingungen der Schweizer Landwirtschaft und erhalten Grundlagen in praxisnaher Theorie. Ein Vertiefungsmodul gibt Einblick in die Schweinehaltung.
Eine kurze Umfrage zeigt, dass jedoch viele Schulen ihr Weiterbildungsangebot Interessierten anbieten und/oder Führungen auf dem schuleigenen Betrieb anbieten (Schluechthof ZG, Plantahof GR). Am Schluechthof wird auch «Schule auf dem Bauernhof» angeboten.
Zudem gibt es «Tage der offenen Türe» (Liebegg AG und Plantahof GR), eine «Brückenbauerfunktion» gegenüber der Öffentlichkeit. Zudem bietet der Plantahof den Verantwortlichen der pädagogischen Hochschule Graubünden ein kleines landwirtschaftliches Seminar für deren AbsolventInnen an.
Die modularen Weiterbildungsangebote des Arenenbergs TG stehen allen offen, am Wallierhof SO gibt es im Kursprogramm «Wallierhof für alle» eine Vielfalt von Themen rund um Garten, Ernährung, Produkte verarbeiten, Haushalt, Handwerk, Bäume und Sträucher schneiden.
Die Fondation Rurale Interjurassienne der Kantone BE/JU bietet unter «Courtemelon & Loveresse pour tous» 22 Kurse für die breite Bevölkerung an.
Am Strickhof stehen ausgewählte Weiterbildungen der Sparte «Bäuerinnen & Gesundheit» Nicht-Landwirtinnen offen, zum Beispiel «Nachhaltig haushalten». Der Strickhof ZH bietet diverse andere Lehrgänge für Nicht-Landwirte, z.B. Winzer.
Am Ebenrain BL wurde vor einigen Jahren versucht, unter dem Titel «Abendkurs Landwirtschaft» etwas für Nicht-Landwirte anzubieten. Allerdings war das Interesse zu wenig gross.
Die HAFL in Zollikofen BE hat keine Kurse für Nicht-LandwirtInnen. Die Kommunikation an die Bevölkerung ist aber sehr wichtig, deshalb gibt es Anlässe wie «Emma auf Hoftour», «Emma an der BEA» und den «Rundgang Permakultur». Zudem richtet sich eine jährliche Veranstaltungsreihe zu aktuellen Themen rund ums Nahrungsmittelsystem an ein breites, interessiertes Publikum (Food Loss und Food Waste).
Anpacken, um es zu begreifen
Kommentar von Dominque Eva Rast, Chefin vom Dienst «die grüne» [IMG 7]
Seit Ende August 2021 drücke ich die Schulbank. Zum ersten Mal seit langer Zeit sitze ich wieder in einem Klassenzimmer, versuche, den DozentInnen zu folgen und kämpfe ab und zu gegen die Müdigkeit. Ebenfalls seit Ende August lerne ich ganz praktisch Neues: Sauerkraut herstellen, Bäume setzen und schneiden, melken und eine Runde auf einem New Holland drehen, unfallfrei dank kompetenter Anleitung.
Der Kurs «Landwirtschaft begreifen» macht seinem Namen alle Ehre. Vieles von dem, was ich in den letzten vier Jahren in meinem Alltag als«die grüne»-Chefin vom Dienst erfahren habe, wird neu eingeordnet. Ich bin nach diesem Kurs weder Landwirtin noch Spezialistin für Agrarpolitik. Doch mein Netzwerk an PraktikerInnen vergrössert sich, gewisses Halbwissen rücken die LehrerInnen zurecht.
Meine Faszination für den Alltag in der Landwirtschaft nimmt nicht ab, im Gegenteil. Es geht mir wie früher: Je mehr ich lerne, desto stärker merke ich, wie wenig ich weiss.Die Komplexität wächst und beeindruckt mich. Nicht nur mich – unsere Klasse ist neugierig, diskutiert, fragt nach und manchmal sind wir alle etwas erschlagen. Und heilfroh, wenn wir raus können und vor Ort die Welt begreifen.
Madeleine Wagner (36), Sembrancher VS
[IMG 3] Ziegen sind das grosse Steckenpferd von Madeleine Wagner, seit sie einen Sommer lang auf einer Ziegenalp gearbeitet hat. Seither hält sie selber Ziegen und kann sich gut vorstellen, künftig mehr mit den Händen als im Büro, wo sie derzeit Kommunikationsverantwortliche bei einer Stiftung ist, zu arbeiten.
Landwirtschaftliche Produkte sind wertvoll
«Der Kurs gefällt mir sehr gut, weil er Zusammenhänge aufzeigt, die mir vorher nicht ganz klar waren. Die Vielseitigkeit in der Landwirtschaft ist enorm. Ich wurde als Konsumentin stärker sensibilisiert, dass ich beim Einkaufen auch eine grosse Verantwortung wahrnehmen kann.»
Kunterbunter Ziegenstall
«Ich habe selber sieben Ziegen und kann mir in Zukunft durchaus vorstellen, noch mehr mit den Händen zu arbeiten. Ich bin bereits auf einem Nebenerwerbsbetrieb mit Pferdehaltung aufgewachsen und habe so schon früh mit Tieren zu tun gehabt. Der Kurs gibt mir jetzt noch theoretisches Hintergrundwissen, das finde ich wichtig.»
Christoph Streit (45), Eggiwil BE
[IMG 4] Der gelernte Raumplanungsingenieur stammt nicht aus einer landwirtschaftlichen Familie. Mit seiner Frau hatte er aber den Traum, ein kleines «Heimet» zu kaufen und zu bewirtschaften, ohne davon leben zu müssen. In Eggiwil BE wurde er fündig.
Hintergrundwissen aneignen als Motivation
«Als klar war, dass wir ein Heimet mit 1,5 ha Wiesland und 1,5 ha Wald kaufen konnten, war für mich klar, dass ich gerne mehr Hintergrundwissen über die Landwirtschaft aneignen wollte. Der Kurs «Landwirtschaft begreifen» erschien mir perfekt zu passen.»
Vom Kurs begeistert
«Der Kurs gefällt mir sehr gut. Fachlich, menschlich und von der Organisation her passt alles. Einige Module würde ich gar als Pflichtstoff für die ganze Bevölkerung einführen. Seit dem Kurs kaufe ich noch bewusster ein als vorher. Und ich freue mich, auf unserem Heimet bald Alpakas willkommen zu heissen. Es ist ein Privileg, Land bewirtschaften zu dürfen, und wir freuen uns sehr auf diese Herausforderung. Natürlich ist mir bewusst, dass es etwas anderes ist, wenn man von der Landwirtschaft leben muss. Dennoch hat mich der Kurs sensibilisiert.»
Bendicht Wagner (62), Bern
[IMG 5] Als Frühpensionierter ehemaliger Intensivmediziner hat Bendicht Wagner endlich Zeit, sich um andere Dinge zu kümmern. Die Landwirtschaft hat ihn schon immer fasziniert, und für ihn ist der Kurs «Landwirtschaft begreifen» ein Startschuss für weitere Tätigkeiten rund um den Bereich Landwirtschaft.
Urgrossvater hatte einen Betrieb
«Mein Urgrossvater hat noch einen Landwirtschaftsbetrieb bewirtschaftet, der später verpachtet wurde. In jungen Jahren habe ich selbst damit geliebäugelt, Landwirt zu werden. Ich habe immer gerne auf dem Betrieb mitgeholfen. Man ist in der Landwirtschaft nahe an der Natur und den Urbedürfnissen des Menschen, das gefällt mir.»
Lieber Steuern zahlen
«Es ist schön, hier im Kurs ein Netzwerk aufzubauen aus Leuten, die der Landwirtschaft ebenfalls verbunden sind. Seit dem Kurs zahle ich zudem lieber Steuern: Ich sehe, dass die Direktzahlungen für die Landwirtschaft wichtig und sinnvoll sind. Ich kann mir gut vorstellen, künftig auf einem Betrieb mitzuhelfen.»
Florence Bernasconi (41), Laupen BE
[IMG 6] Florence Bernasconi ist auf dem Land aufgewachsen und arbeitet beim BLW in der Administration. Sie ist über einen Flyer auf den Kurs «Landwirtschaft begreifen» aufmerksam geworden und das vielfältige Programm hat sie sofort angesprochen.
Vieles wird angeschnitten
«Im Kurs schneiden wir sehr viele Themen an, was einerseits natürlich sehr interessant ist und einen guten Gesamtüberblick gibt. Andererseits bleiben wir zwangsläufig an der Oberfläche, allein schon aus Zeitgründen. Wer will, kann sich aber gut selbstständig weiter in die Themen vertiefen, die ihn oder sie interessieren.»
Kein konkretes Ziel vor Augen
«Ich mache den Kurs aus persönlichen Gründen, nicht, weil ich auf ein bestimmtes Ziel hinarbeiten möchte. So viele verschiedene Einblicke in die Welt der Bauern zu erhalten, ist sehr wertvoll. Es ist die optimale Brücke zwischen meiner täglichen Arbeit in der Administration und der Praktik auf dem Feld. Allen, die etwas Interesse an Landwirtschaft haben, kann ich diesen Kurs empfehlen.»