Kurz & bündig
- Beim Lohnunternehmen Müller Pflanzenschutz scannen Kameras auf der Feldspritze den Bestand.
- Anhand der Bilddaten werden die Düsen betätigt.
- Wird eine Zielfläche erkannt, zum Beispiel eine Blacke, wird nur dort gespritzt.
- Mitteleinsparungen bis 90 Prozent sind möglich.
Das Lohnunternehmen Müller Pflanzenschutz aus Ruswil LU optimiert zurzeit seine Feldspritze. Obwohl der Selbstfahrer von Grim, mit GPS gesteuerter Einzeldüsenschaltung, bereits auf einem hohen technischen Niveau ausgerüstet ist, wollen Thomas und sein Vater Sepp Müller den Pflanzenschutz weiter perfektionieren. Der Mitteleinsatz soll weiter gesenkt werden. Gleichzeitig soll der Ertrag weder in der Menge noch unter der Qualität leiden.
Kameras erkennen Zielflächen während der Fahrt
Um dies zu erreichen, haben Müllers im vergangenen Winter sechs Kameras auf die Feldspritze montiert, welche die Zielflächen erkennen. Die Kameras scannen zwar das ganze Feld, gespritzt wird aber nur noch punktuell (Herbizid) oder bestandesabhängig (Fungizid, Wachstumsregler).
Die Kameras scannen den Pflanzenbestand der gesamten Arbeitsbreite von 15 Metern. Eine Software kann anhand der Kamerabilder Unkräuter von der Kulturpflanze unterscheiden. Das System markiert die Unkraut-Stellen und im Terminal wird deren Position mittels GPS ermittelt.
Loggt man sich während der Fahrt mit dem Laptop ins System ein, sieht man die Unkrautstellen aufblinken. Dies lässt nur erahnen, was für eine Herkules-Arbeit der Rechner während der Fahrt leistet. Und dies soll sogar bis 12 km/h möglich sein.
Die Kameras können nicht nur Unkräuter vom übrigen Bestand unterscheiden, sondern auch die Bestandesdichte, beispielsweise bei Weizen, beurteilen. Daraus kann der Fungizid-, Wachstumsregulatoren- und Düngebedarf kulturspezifisch abgeleitet werden.
Das Erkennen von Unterschieden im Bestand und daraus die Zielflächen zu definieren und die Mittelmenge zu bestimmen, ist nur der eine Teil der neuen Technik. Vollendet wird das System mit Düsen am Spritzgestänge, welche nur dort öffnen und Mittel applizieren, wo eine Kamera vorher ein Unkraut erkannte oder Bestandesunterschiede für die Flüssigdüngung oder den Fungizidbedarf ausmachte. Der Impuls für das Öffnen und Schliessen der Düsen erfolgt ebenfalls durch den Rechner.
Bis zu 90 Prozent weniger Mittel einsetzen
Thomas Müller geht davon aus, dass mit der neuen Technik die Düsen mehr zu denn offen sind. Damit werden beim Herbizideinsatz durchschnittliche Mitteleinsparungen von 60 bis 90 Prozent möglich. Abhängig ist dies vom Besatz des Schaderregers, zum Beispiel bei Blacke.
Das kann man am Markt noch nicht kaufen
Damit eine Feldspritze anhand einer Bild-Vorgabe funktioniert, musste Thomas Müller sehr viel digitale Technik zusammenfügen. Ab Stange ist so eine Feldspritze seiner Leistungsklasse noch nicht erhältlich, beziehungsweise für das Gebiet im luzernischen Rottal nicht geeignet. Dies ändert er nun auf eigene Faust und macht den Umbau zum Projekt im Rahmen seiner Ausbildung an der Technikerschule am Schluechthof in Cham ZG.
Dabei half ihm das Internet. Dort fand er ein Unternehmen in Frankreich, welches sich auf Kamerasysteme zur Bilderkennung spezialisiert hat. Das Unternehmen beschäftigt nicht nur Softwaretechniker, sondern auch Agronomen, welche aus den Bilddaten eine pflanzenbauliche Umsetzung ableiten. Sie programmieren das System so, dass der Computer anhand einer Situation auf einem Bild den pflanzenbaulichen Bedarf ableitet. Das überzeugte Thomas Müller und er entschied sich rasch, in die Technik zu investieren.
Die Teilflächen werden zum Gartenbeet
Die Feldspritze ermittelt sehr genaue Daten, wo sich die Zielflächen befinden. Um hier die Präzision weiter zu verbessern, werden Müllers den Düsenabstand von normalerweise 50 Zentimeter auf 25 Zentimeter reduzieren. Damit gelangt man noch näher an die Zielfläche heran. Hier werden Ackerschläge in Teilflächen, kleiner als ein Gartenbeet, unterteilt.
Das Kamerasystem hat Thomas Müller bereits aufgebaut. Es besteht aus insgesamt sechs Kameras. Zwei befinden sich links und rechts vorne neben der Kabine. Auf dem Spritzgestänge sind beidseitig je zwei weitere Kameras montiert. Eine Kamera deckt einen Bereich von rund drei Metern ab.
Das alte Düsensystem und alle Leitungen auf der Feldspritze werden mitsamt der Verkabelung ersetzt. Hier werden Düsen mit Pulsweitenmodulation PWM montiert. Solche Düsen können getaktet werden.
Jede Düse kann elektromagnetisch mit einer Frequenz von bis zu 20 Mal pro Sekunde geöffnet und geschlossen werden. Mit der Frequenz wird die Aufwandmenge geregelt und der Fahrgeschwindigkeit angepasst.
Bei höherer Geschwindigkeit muss also nicht der Spritzdruck erhöht werden, sondern die Öffnungszeiten werden erhöht. Dadurch bleibt der Spritzdruck immer gleich und die Tropfengrösse auch. Mit dieser Technik kann bei der Ausbringung die Menge gemäss den Kameras und dem hinterlegten Algorithmus kulturspezifisch verändert werden.
So präzise wie ein Tintenstrahldrucker
Die reaktionsschnellen Düsen sind eine Voraussetzung für das Kamerasystem mit blitzschnellen Ein-/Ausschaltungen. Vergleichen lässt sich dies allenfalls mit einem Testblatt bei der Einrichtung eines Tintenstrahldruckers mit bedruckten und nicht bedruckten Flächen.
Die Funktionsweise eines Druckers kann auch auf die Funktionsweise der Feldspritze von Thomas Müller übertragen werden: Wann die Düsen ihre Tröpfchen abschiessen und in welcher Menge sie Tinte abgeben, wird elektrisch gesteuert. Die Kombination aus Bewegung des Druckkopfs, Bewegung des Papiers, Menge der Tröpfchen und natürlich dem Zeitpunkt, zu welchem diese abgegeben werden, ergibt dann den fertigen Ausdruck.
Pflanzenschutzmittel optimal einsetzen
«Die optimale Ausnutzung der eingesetzten Mittel ist uns besonders wichtig. Deshalb arbeiten wir schon lange mit der Einzeldüsenschaltung. Das spart bei unförmigen Parzellen viel Mittel und überspritzt auch beim Fahrgassen-Anschluss nicht. Dadurch war es logisch, dass wir den nächsten Schritt zur Kameratechnik machen.»
Müller Pflanzenschutz scheut dabei weder Kosten noch Zeit, um mit der aktuell präzisesten Technik den Spritzmittelaufwand zu senken, ohne auf Ertrag und Qualität zu verzichten.
Praxistaugliche Lösungen, welche auf einem Feld die Präzision eines Tintenstrahldruckers erbringen, sind oft nur durch den persönlichen Einsatz fortschrittlicher Landwirte und Lohnunternehmer möglich. Dies zeigt, dass landwirtschaftliche Spezialisten schon lange nach dem Motte arbeiten: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Thomas Müller legt Wert darauf, das System unabhängig der extremen Agrar-Initiativen umzusetzen. «Das ist eher ein Zufall, dass dies zeitlich so beieinander liegt. Hätte es die Technik früher gegeben, hätten wir dies schon lange.» Die Kameratechnik ist jedenfalls ein Argument, auch weiterhin auf Pflanzenschutzmittel zu setzen und mit reduziertem Aufwand die volle Wirkung zum Schutz der Kulturen zu erreichen. «Ohne Schutz der Kulturen kann die regionale Produktion von Lebensmitteln nicht aufrecht erhalten werden», ist sich Thomas Müller sicher.
Das System erledigt folgende Aufgaben
- Erkennen von Unkraut
- Zurzeit sind folgende Erkennungen möglich:
- Blacken bei Gras, Getreide und Raps
- Disteln
- Winden, Klebern in Getreide
- Erkennen von Mais und spritzen, was nicht als Mais erkannt wird
Erkennung der Bestandesdichte und des Chlorophylgehalts zur Dosierung von:
- Wachstumsregler
- Fungizid
- Düngung
- Die Mengenregelung erfolgt über die PWM-Düsen.
Das System benötigt viel Hintergrundwissen
Im Internet fand Thomas Müller im Herbst 2020 die Firma Carbon Bee Agtech SAS in Frankreich. Das Unternehmen hat sich auf Kameratechnik spezialisiert. Nach einem Besuch Anfang 2021 beim Unternehmen entschieden sich Thomas und Sepp Müller, in den nächsten Technikschritt zu investieren. Kurz darauf wurde das Kamerasystem montiert. Das Kamerasystem läuft bereits einwandfrei mit und liefert viele Erkenntnisse, indem der Anteil der künftig zu behandelnden Teilflächen bereits angezeigt wird. Das PWM-System wird im Sommer 2021 aufgebaut.
Zudem werden die Kameradaten ins Werk nach Frankreich übermittelt. Dort nutzen die Techniker die Bilder, um die Software durch noch mehr Daten immer genauer zu machen. Die Kamera lernt dadurch unterschiedliche Pflanzen noch schneller zu unterscheiden. Dabei geht es auch darum, Unkräuter auch bei unterschiedlichen Witterungs-bedingungen wie beispielsweise Licht und Schatten, sicher zu erkennen. Hier braucht das System viel mehr «Hintergrundwissen» als bei immer gleichen Umgebungsbedingungen wie in einem Labor.