Viele Landwirte erinnern sich an einen Milchpreis von über einem Franken. Heute ist die Milch noch halb soviel wert. Sie beraten Landwirte bei der Melktechnik und kennen die Geschichte hunderter Betriebe. Wie überleben diese Betriebe finanziell?

Tiziano Ziliani: Eigentlich liesse sich heute mit Milch so viel Geld verdienen wie noch nie. Denn ein einziger Landwirt kann mit der heutigen Technik viel mehr Kühe betreuen als früher und der Konsument war noch nie so reich.

Was läuft falsch?

Die Landwirte sind auf den Milchpreis fixiert. Obschon wir wissen, dass der allgemeine Milchpreis – der Industriemilchpreis – sicher nicht mehr steigen wird. Ausser, Umweltfaktoren nehmen überhand. Über die Menge wird versucht, den Preisverlust wettzumachen. Kein Unternehmer produziert etwas, ohne einen geregelten Absatz und Marge.

Warum geht diese Strategie nicht auf?

In der Schweiz bringt es strukturbedingt nichts, die Menge zu erhöhen. Wir können mit anderen europäischen Ländern nicht mithalten. In der EU produziert ein Betrieb eine durchschnittliche Milchmenge von 800 000 bis über eine Million Kilo Milch. Nur solche Betriebe können in der Schweiz auf diesem Kanal überleben.

Was ist die Lösung?

Die Käsereilieferanten sind die glücklichen Betriebe. Ihre Wertschöpfung ist besser und der Milchpreis konnte sich mehr oder weniger halten.

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Nicht alle können Käsereimilch produzieren. Was gibt es für weitere Lösungen?

Man muss Vermarktungskanäle mit einer höheren Wertschöpfung beliefern. Das ist der Bio-Kanal. Und allenfalls müssen die Landwirte ihren Betrieb anpassen. Mit Bio-Industriemilch liegt der Erlös bei zirka 80 Rappen, im Sommer bis zu 90 Rappen. Das ist nicht viel weniger als zu den besten Zeiten der Milch-Kontingentierung.

Fällt es den Landwirten leicht, die Produktionsart zu ändern?

Leider nicht. Viele sind seit Jahrzehnten festgefahren in ihrer Produktionsart. Sie wählen dann eher die Mengen-Strategie und liefern allgemeine Industriemilch mit einem Preis um 50 Rappen. Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren in ihrem Konsumverhalten verändert. Sie ist heute bereit, den vollen, gewünschten Preis zu bezahlen.

Was raten Sie Landwirten, die nur 50 Rappen für ihre Milch erhalten?

Wir wissen, dass die Produktionskosten in der Schweiz höher sind. Das führt dazu, dass irgendwann die Luft raus ist. Bei einem Generationswechsel werden diese Betriebe – oder zumindest die Milchproduktion – höchstwahrscheinlich aufgegeben. Die Jungen sehen heute, dass man in einem anderen Job nur halb so viel arbeiten muss und dreimal so viel verdient. Viele junge Landwirte wollen nicht unter solchen Bedingungen arbeiten.

Aber es kann ja nicht jeder Biomilch oder Käsereimilch liefern.

So ist es. Die Kanäle haben ihre Grenzen. Wenn ich aber mit Landwirten diskutiere, etwa zuletzt an der «Tier und Technik», dann wollen sie nichts bei sich ändern. Die Landwirte haben noch nicht verstanden, dass konventionelle Industriemilch in der Schweiz keine Zukunft hat. Nur wenige Landwirte sind bereit, ihre Produktionsart ernsthaft zu überdenken.

Warum sind es nur so wenige?

Offenbar ist weiterhin Substanz auf den Betrieben vorhanden. Oft ist es Betriebsblindheit. Die Landwirte begnügen sich mit 48 Rappen, anstatt den Betrieb so anzupassen, dass sie 84 Rappen bekommen.
Die Landwirte müssen unbedingt flexibler werden, um den Betrieb zu verändern und die Produktionskosten zu senken. Kleine Betriebe mit Roboter mussten diese Überlegungen bereits vor Jahren machen. Sie sind
heute meiner Erfahrung nach am glücklichsten.

Welche Rolle spielen die Melkroboter, die Sie verkaufen?

Der Landwirt muss die Kuh für sich arbeiten lassen. Sie ist das höchstentwickelte Säugetier und kann Gras in Milch und Fleisch veredeln. Meine Devise ist: Maximaler Weideanteil, möglichst früh im Frühling bis zum ersten Frost raus, um das Futter selber zu holen und den Mist selber zu verteilen.
Das macht die Kuh nicht nur gerne, sondern auch gratis. Und mit einem Roboter kann sie sich nach Wunsch melken lassen. Wenn die Kühe so mitarbeiten, sinken die Kosten markant und die Flexibilität auf dem Betrieb steigt. Die Kuh muss die Milch produzieren, nicht der Betriebsleiter.

Was passiert mit einem Betrieb, der sich nicht entwickelt?

Es wird nochmals eine Strukturbereinigung stattfinden. Dabei werden
Betriebe aufgegeben. Vielen Betrieben wird die Ausbildung zum Verhängnis werden.
Landwirt ist der komplexeste Beruf der Welt. Er muss sich mit Tieren, mit Maschinen, mit Futter- und Ackerbau und vielem mehr befassen. Wenn ich dann höre, dass man heute einem Jungen sagt: «Lerne etwas anderes, du kannst dann immer noch bauern», dann fehlt bei mir jedes Verständnis für Leidenschaft.
Ich will niemandem zu nahe treten, und es gibt auch andere Beispiele, aber wenn Landwirt nicht die erste Wahl ist, dann fehlt das notwendige Feuer. Das Bildungsniveau muss steigen, damit die Landwirte unternehmerischer vorgehen und bereit sind, den Betrieb zu verändern.

Was muss ein Landwirt sonst noch beachten, wenn er erfolgreich Milch vermarkten will?

Er muss sich eine Grundsatzfrage stellen: «Kühe ja oder Kühe nein?». Kühe sind eine Leidenschaft, Landwirte müssen nach dem Konsumverhalten produzieren. Es kann doch nicht sein, dass sie aus Sturheit auf 30 bis 40 Prozent Wertschöpfung verzichten. Und dann geht es noch einen Schritt weiter: Es braucht einen Plan B, wenn beispielsweise der Biokanal voll ist.

Was könnte ein Plan B sein?

Zum Beispiel Kühe mit Hörner. Ich kenne Roboterbetriebe, die nicht mehr enthornen. Das ist in einem Roboter-Laufstall, wo die Kuh in ihrem Verhalten komplett frei ist,
absolut kein Problem. Während der Weidesaison steigt die Stall-Grundrissfläche um ein Vielfaches an. Wer jetzt damit beginnt, hat in einigen Jahren die Möglichkeit, Demeter-Milch zu produzieren. Es geht darum, sich den Nischen anzupassen, wo der Konsument die Milch zu einem viel besseren Preis kauft.

Ist der Landwirt selber schuld an den schlechten Milchpreisen?

Nein, ich rege mich über Vermarktung und Politik auf. Wir haben in der Schweiz die beste Qualität, vermarkten dies aber nicht. Darum müssen wir das Konsumverhalten nutzen und die Nischenkanäle beliefern. Und mehr direkte Vermarktungskanäle erschliessen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die Landwirte sind insofern selber schuld, weil sie nicht begreifen, dass sie mit 40 Kühen mehr verdienen und glücklicher sein könnten als mit 60 Kühen.

Kann man sich gegen die Marktmacht der Abnehmer wehren?

Jeder, der Milch absaugt, verdient mehr daran als der Produzent. Der Handel will Milch absaugen, sonst können sie ihre Marge nicht mehr holen. Handeln war schon immer interessanter als produzieren. Hier wäre etwas zu machen. Die Milchpreisverhandlungen finden oft nicht statt, man holt keine Offerten ein.

Alle Interviews für «die grüne» werden zunächst im Wortlaut transkribiert
und danach – in Absprache mit den Gesprächspartnern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und
wenn notwendig gekürzt.

Mitbegründer des Lely-Center Schweiz

Tiziano Ziliani (51) begann 1998 mit dem Vertrieb von Lely-Melkrobotern und hat zusammen mit Franz Albisser 2004 das weltweit erste Lely-Center ausserhalb der Niederlande gegründet.

Ziliani hat sich auf die Beratung für Klein-, Weide- und Alp-betriebe spezialisiert. Der Tessiner absolvierte im Kanton Freiburg eine landwirtschaftliche Lehre und studierte Agronomie an der ETH Zürich.

Tiziano Ziliani wohnt in Molinis GR (Gemeinde Arosa). Er hat ein Herz für Tiere, welche er zum Teil auch auf den Betrieben seiner Kunden platziert.