Kurz & bündig

- «Haus & Hof Hermolingen» bietet älteren Männern ein Zuhause und die Möglichkeit, mitzuarbeiten, zum Beispiel im Stall.
- Das Haus wird bis 2027 saniert, um den Bewohnern mehr Komfort zu bieten, bleibt aber einfach und erschwinglich.
- «Hof Hermolingen» ist an Tobias Kritzer verpachtet, der Milchwirtschaft betreibt und Legehennen hält.

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Wer über Jahrzehnte auf einem Betrieb gearbeitet hat, braucht nach der Pensionierung Zeit, in einem neuen Daheim anzukommen: Deshalb müssen sich die 36 Männer, die im luzernischen Rothenburg in «Haus & Hof Hermolingen» leben, nicht sofort entscheiden, ob sie weiterhin im Stall arbeiten möchten.

Gegründet wurde «Hermolingen» 1938 vom Luzerner Bauernverband, damit Knechte im Alter ein Zuhause hatten (siehe Kasten). Mittlerweile ist die Institution weitgehend unabhängig vom Verband und stemmt auch den Umbau selbstständig. Denn nötig sei eine Sanierung, sagt Livia Giovanoli (50). Sie arbeitet seit 2008 für Hermolingen und führt die Institution seit 2017. «Nach dem Umbau haben unsere Männer mehr Platz und mehr Komfort», erklärt sie. Das Haus werde einfach (und damit auch erschwinglich) bleiben, aber zeitgemässer sein.

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Hermolingen als grosse Familie für die älteren Männer

Das Spezielle an Hermolingen ist nicht nur, dass es ausschliesslich Männern offen steht. Hermolingen ist kein klassisches Altersheim und kein Pflegeheim. «Betreutes Wohnen» trifft es am ehesten. «Wir sind eine grosse Familie», sagt auch Tobias Kritzer, seit 2013 Pächter des Betriebs, der zu Hermolingen gehört. Er hat bis 2022 mit seiner Familie im Haus gewohnt – wie es seit der Eröffnung des Heims Tradition (und lange Anstellungsbedingung) war. «Das hatte sehr schöne Seiten, die Nähe zu den Männern war sicher eine Bereicherung.»

Dennoch tut etwas Distanz zur Arbeit gut. Mittlerweile leben Kritzer (36) und seine Familie auf einem Betrieb in Sichtweite von Hermolingen, den sie kaufen konnten. Auf diesem Betrieb mästen sie die Rinder aus, die in der Abkalbebox des Laufstalls in Hermolingen zur Welt kommen.

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Der Melkroboter fasziniert Bewohner und Besucher

2019 konnte Tobias Kritzer die Scheune von Hermolingen im Baurecht übernehmen. Er begann, den Betrieb zu modernisieren: Die Schweinehaltung war schon länger gewichen, die Räumlichkeiten waren in einen Stall für 250 Legehennen und eine Werkstatt für die Männer umfunktioniert worden. Kritzer hat den Anbindestall aufgegeben und einen modernen, luftigen Laufstall für 59 Kühe gebaut. Aktuell hält er 54 Milchkühe, die mit einem Roboter gemolken werden.

Eine grosse Umstellung – auch für die Bewohner von Hermolingen, die zwischen 56 und 94 Jahre alt sind. «Wir haben hier Männer, die noch von Hand gemolken haben», sagt Tobias Kritzer. Diese seien «gwundrig», wenn auch zu Beginn etwas skeptisch gewesen. «Der arbeitet ja einfach», habe er immer wieder gehört, wenn die Männer dem Melkroboter zugeschaut hätten. Er sehe immer wieder, welche Spuren die Arbeit an den Körpern der Männer hinterlassen habe: Finger wie Cervelats, krumme Rücken.

Zu sehen, dass eine Maschine harte Arbeit übernehme, Kühe im Laufstall leben, auf dem Feld modernste Technik der Lohnunternehmer zu Einsatz komme: Das begeistere die Bewohner.

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Tobias Kritzer ist es wichtig, diejenigen Bewohner einzubeziehen, die wirklich wollen: «Wir bieten keine Alibi-Arbeiten an», sagt er. Im Legehennenstall gibt es zum Beispiel kaum Technik. Die Türchen in den Wintergarten öffnen und schliessen die Bewohner, sie sammeln die Eier ein und füllen Futter nach. Damit es kein Durcheinander gibt, sind die Zuständigkeiten für wiederkehrende Arbeiten klar verteilt.

Saisonale Arbeiten, zum Beispiel Heckenpflege oder Äpfel aufsammeln, wird im Haus auf den Wochenplan geschrieben. Wer mag, kann mitmachen, wer keine Lust hat, schaut zu oder sitzt auf der Terrasse und beobachtet das Kommen und Gehen auf Hermolingen.

Hermolingen gehört zu Rothenburg und hat Zukunft

Die grüne Insel mitten in Rothenburg ist ein wichtiger Treffpunkt: Die Schule liegt gleich neben der Institution, über das Land führt ein Spazierweg, der Stall ist ein beliebtes Ausflugsziel für Klein und Gross. Beim Umbau zum Laufstall hat Tobias Kritzer in Absprache mit Livia Giovanoli den Eingangsbereich so gestaltet, dass es Ställe für Kleintiere (Esel, Ziegen, Schafe) hat und ein Podest den Blick auf den Roboter und den Stall ermöglicht. Dieser Blick ist so beliebt, dass sich ein Kleinkind heftig gegen Videoaufnahmen mit Kritzer und Giovanoli vor genau diesem Podest wehrte. Es wolle Kühe schauen, und zwar jetzt und nicht später …

Wie stark Hermolingen zu Rothenburg gehört, zeigt sich auch daran, dass der Umbau des Hauses problemlos durch die Gremien ging und speziell für die Institution eine eigene, sogenannte öffentliche Zone geschaffen wurde. Der Teil, den Tobias Kritzer bewirtschaftet, liegt weiterhin in der Landwirtschaftszone, das umgebaute Haus in der öffentlichen Zone.

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Denn so, wie Tobias Kritzer als Pächter investieren wollte und musste, um wirtschaftlich arbeiten zu können, so nötig sind die Sanierungen am Haus. Bis 2027 entsteht ein Anbau mit neuen Zimmern, Räumlichkeiten für die Bewohner und die Angestellten. Das bestehende Haus wird saniert und modernisiert. Ein Anbau aus dem Jahr 1997 verschwindet, dafür entsteht in der ehemaligen Betriebsleiterwohnung eine Wohngemeinschaft für besonders selbstständige Männer.

Die Bewohner stellen Produkte für den Hofladen her

Hermolingen ist offen und solle ein Treffpunkt sein, deshalb gehört zum Umbau auch eine öffentliche Cafeteria. Bereits seit 2024 in Betrieb ist ein Selbsternte-Garten. Wer ein Ernteabo löst, darf Gemüse ernten. Um die Setzlinge und ums Jäten kümmert sich das Hermolingen-Team. Wie gross das Interesse an der Institution ist, zeigt sich auch 2023 am 85-Jahre-Jubiläum: An einem schönen Märztag tummelten sich 700 Menschen auf dem Gelände.

Auch der Hofladen, der zum Haus gehört, ist ein wichtiger Bestandteil. Was dort im Angebot ist, stammt zum grössten Teil vom Betrieb Hermolingen und wird in Zusammenarbeit mit den Männern, die im Haus leben, hergestellt: In der Werkstatt entstehen zum Beispiel Anzündehilfen aus Holz, die in geduldiger Arbeit zuerst gespalten, dann auf die richtige Grösse gebracht, in WC-Rollen gesteckt und in heisses Wachs getaucht werden.

«Das Familiäre ist und bleibt in Hermolingen wichtig.»

Livia Giovanoli, Heimleiterin

Im Hofladen stehen auch Produkte aus der Küche, bei denen die Männer mitgeholfen haben: vom Feuersalz über die Teemischung, Birnenweggen und Most natürlich. «Wir haben Männer, die jeden Tag zusammen Gemüse rüsten», erzählt Livia Giovanoli. Andere hätten Freude daran, Wäsche zu sortieren und zu falten, den Tisch zu decken oder die Post ins Dorf zu bringen.

Wer was macht, das ergibt sich mit der Zeit. Mittlerweile stammt noch rund die Hälfte der Männer aus der Landwirtschaft. Mitarbeiten auf dem Hof ist möglich, aber nicht Pflicht. Auch die «Rangkämpfe» um gewisse Arbeiten, die Tobias Kritzer ganz früher erlebt hat, sind verschwunden. Denn Kritzer ist ganz nahe von Hermolingen aufgewachsen und hat schon als Kindergärtler beschlossen, einst den Betrieb zu übernehmen: «Das erzählt mir meine Kindergärtnerin einmal pro Jahr, wenn sie mit ihrer Klasse den Betrieb besucht», sagt Kritzer.

Zuerst habe er Maurer gelernt, an den Wochenenden aber oft den (damals noch angestellten) Betriebsleiter abgelöst. Nach der Ausbildung zum Landwirt konnte er sehr jung den Betrieb pachten und 2019 gewisse Teile im Baurecht übernehmen.

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Eine Leistungsvereinbarung regelt, wer was macht

Die Zusammenarbeit zwischen Haus und Hof ist in einer Leistungsvereinbarung geregelt. Dazu gehört, dass Tobias Kritzer Milch, Obst für Most und Schlachtkörper ans Haus liefert. Kritzer stellt seine Leistungen in Rechnung, so ist Transparenz gewährleistet. Zur Vereinbarungen gehören aber auch Unterhaltsarbeiten und die Möglichkeit, dass die Männer auf dem Betrieb mitarbeiten.

Um für diese Betreuungsarbeit gewappnet zu sein, hat Tobias Kritzer 2013 den Grundkurs «Arbeitsagoge» besucht. Wer in Hermolingen lebt, muss weitgehend selbstständig sein, erklärt Livia Giovanoli: «Wir haben Unterstützung durch die Spitex und auch nachts ist immer jemand im Haus.» Selber anziehen, selbstständig in den Speisesaal kommen und dort essen – das sind aber Grundvoraussetzungen, um eines der 36 Zimmer belegen zu dürfen.

Diese sind einfach, aber funktional ausgestattet. Nach dem Umbau wird jedes Zimmer eine eigene Toilette und einen Eingangsbereich haben. Weitergeführt wird die Tradition der Etagendusche – aus dem pragmatischen Grund, dass viele der Männer Unterstützung von der Spitex brauchen und die Duschen entsprechend Platz und Einrichtungen brauchen.

Den Umbau und den damit verbundenen Betrieb ums Haus herum nehmen die Männer gelassen und mit Interesse: Die Maschinen faszinieren sie, Abwechslung macht den meisten Freude. Wer Interesse hat, findet jemanden für einen Schwatz, eine Jasspartie oder ein Bier am Nachmittag. Wer lieber für sich ist, darf sich zurückziehen.

Livia Giovanolis Bürotüre ist meistens offen, Tobias Kritzers Stall ebenso: Die unkomplizierte Gelassenheit der beiden, kombiniert mit einem klar durchdachten Konzept macht es wohl aus, dass Hermolingen auch nach fast 90 Jahren eine Art grosse Familie ist und es auch in Zukunft sein wird.

Die Geschichte von «Haus & Hof Hermolingen»

Den Anstoss für ein «Landwirtschaftliches Altersasyl» gab der Luzern Bauernverein (heute Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverband) bereits 1918. Damals ergriff Vorstandsmitglied Gottlieb Stalder aus Meggen die Initiative zur Gründung einer Stiftung mit dem Zweck, für kranke und alte landwirtschaftliche Dienstboten ein Asyl zu schaffen. Von 1925 bis 1934 bemühte sich die Stiftung, das Geld für den Kauf einer geeigneten Liegenschaft zusammenzutragen.

1934 erwarb die Stiftung in Rothenburg die Liegenschaft Hermolingen zu einem vernünftigen Preis. Das Land wurde in der ersten Zeit verpachtet, damit das Haus gebaut werden konnte. 1938 wurde das neue Heim eröffnet.

1997 wurde das Haus umfassend saniert. Man baute eine Cafeteria an, erweiterte die Waschküche und modernisierte die Küche. Auf den Etagen entstanden neue Duschen und Bäder.

Seit 1. Juli 2017 leitet Livia Giovanoli den Heimbetrieb, seit dem 1. Mai 2013 ist der Landwirtschaftsbetrieb an die Familie Kritzer-Burkart verpachtet. Eine Leistungsvereinbarung regelt die mögliche Mitarbeit der Bewohner auf dem Bauernbetrieb.

www.hermolingen.ch

 

Betriebsspiegel der Familie Kritzer

Tobias und Ramona Kritzer, Rothenburg LU

LN: 28,5 ha (davon 12,92 ha Hermolingen)
Kulturen: Kunstwiesen, Mais, Obst
Tierbestand: 54 Milchkühe, 15 Stück Jungvieh (Aufzucht extern), 30 Mastrinder, 250 Legehennen, 2 Esel, 2 Ziegen, 3 Schafe, 3 Schweine
Weitere Betriebszweige: Unterhaltsarbeiten für «Haus & Hof Hermolingen», Mitarbeitsmöglichkeit für Bewohner gemäss Leistungsvereinbarung
Arbeitskräfte: Betriebsleiterpaar

www.hermolingen.ch