Seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert haben die Schweizer Bauern ein Problem mit Marktmacht. Nicht weil sie welche haben, sondern weil die Marktmacht immer auf der Gegenseite ist.

Egal ob die Bauern Saatgut oder Düngemittel von den Herstellern kaufen, oder ob sie ihre Produkte an den Lebensmittelhandel verkaufen wollen – sie sitzen stets am kürzeren Hebel.

Das liegt daran, dass die Landwirtschaft aus vielen Kleinbetrieben besteht. Es herrscht vollständige Konkurrenz und kein Anbieter kann den Marktpreis wesentlich beeinflussen.

Würden die Schweizer Bauern direkt auf die Konsumenten treffen und ihre Produkte an diese verkaufen, wie oft noch in Entwicklungsländern, dann wäre dies ein perfekter Markt wie aus dem Lehrbuch. In diesem Fall bestünde weder auf der Angebotsseite noch auf der Nachfrageseite Marktmacht.

Dieser Idealfall der vollständigen Konkurrenz ist aber für Unternehmen unangenehm. So kommt man wirtschaftlich auf keinen grünen Zweig.

Das ist erst dann der Fall, wenn man eine gewisse Marktmacht besitzt und so die Bedingungen auf dem Markt diktieren kann. Dazu ist es aber erforderlich, dass statt vielen kleinen Anbietern oder Nachfragern nur ein paar grosse Akteure auf dem Markt sind.

Und genau damit werden die Schweizer Bauern laufend konfrontiert. Sie verkaufen den grössten Teil ihrer Produkte an wenige grosse Verarbeiter und Lebensmittelhändler wie Migros, Coop – oder auch an die Fenaco.

Diese grossen Verarbeiter und Lebensmittelhändler wollen von den Bauern homogene Rohstoffe wie Rohmilch oder Weizen zu möglichst günstigen Preisen. Und weil sie die Marktmacht haben, können sie das auch durchsetzen.

Die Schweizer Bauern werden so zu Rohstoff-Lieferanten degradiert. Es kommt nicht mehr darauf an, ob das Produkt vom Bauern A, B oder C kommt.

Gegen diese ungünstige Marktposition haben sich die Schweizer Bauern immer wieder gewehrt. Sie gründeten schon im 19. Jahrhundert Landwirtschaftliche Genossenschaften, die sich zu regionalen Verbänden zusammenschlossen. Aus dem Zusammenschluss von sechs dieser landwirtschaftlichen Genossenschaften entstand dann 1993 die Fenaco.

Die Fenaco ist inzwischen aber selbst zu einem grossen Player geworden. Einerseits ist die Agrargenossenschaft – respektive das daraus entstandene Fenacoversum (das «die grüne» in der Recherche «Fenaco machte 2019 über 7 Milliarden Umsatz mit der Schweizer Landwirtschaft» beleuchtet) – der wichtigste Anbieter von Vorleistungen wie Düngemitteln oder Futtermitteln.

Andererseits tritt die Fenaco als Nachfrager mit ihren Unternehmen Volg und Landi als ein Grossabnehmer landwirtschaftlicher Produkte in Erscheinung.

Gerade dabei steht die Fenaco unter harter Konkurrenz durch Migros, Coop und andere grosse Verarbeiter und Lebensmittelhändler. Verständlich deshalb, dass die Fenaco Agrar-Rohprodukte möglichst billig einkaufen möchte, um so die Wertschöpfung zu erhöhen. Allerdings geht dies zulasten der Bauern.

Auch dieses Problem ist nicht neu für die Schweizer Bauern. Von ihnen selbst gegründete Genossenschaften zu Verarbeitung und Vertrieb ihrer Produkte wurden durch die ungünstige Marktsituation öfters zu Gegenspielern, wie auch die Fenaco.

Diese soll hier aber nicht kritisiert werden. Es ist vielmehr ein Warnruf an die Schweizer Bauern. Durch grosse Selbsthilfeorganisationen wie Genossenschaften für die Lebensmittelherstellung und den Vertrieb können Bauern aufgrund der damit verbundenen Marktmacht schnell einmal vom Regen in die Traufe geraten.

 

Mathias Binswanger

Der Ökonom Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen.

Binswanger forscht u. a. zur Makro-Ökonomie, Finanzmarkt-Theorie und Umwelt-Ökonomie.

Das Ökonomen-Ranking der «Neuen Zürcher Zeitung» zählt den 57-jährigen Mathias Binswanger seit Jahren zu den einflussreichsten Ökonomen der Schweiz.

Mathias Binswanger ist Autor des Fachbuches «Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel: Landwirtschaft und Globalisierung»