Wie hat sich die Schweizer Alpwirtschaft in den letzten 10 Jahren verändert?
Daniel Mettler:Mit der Agrarpolitik AP 14–17 gab es einen Systemwechsel. Es wurden verschiedene Anreize geschaffen, die Landwirtschaft ökologischer zu gestalten. Das Direktzahlungspaket für die Sömmerungsbetriebe vergrösserte sich von 100 auf 165 Mio Franken. Massgebend dafür waren und sind die Beiträge für Biodiversitätsförderflächen BFF und die Landschaftsqualitätsbeiträge.
Mit der AP 18–22 gab es nur wenige Änderungen und auch mit der AP 22+ verfolgt man noch immer die gleichen Ziele: Genügend Tiere auf die Alp zu bringen und die Landschaft offen zu halten.
Ebenfalls relevant wurden die Alpungsbeiträge für jene Betriebe, die ihr Vieh auf die Alp schicken. Deshalb nahmen die Tierbestände auf den Alpen in den letzten Jahren nur wenig ab. Bei den Schafen und Milchkühen gab es einen leichten Rückgang. Die Anzahl Mutterkühe nahm zu.
Wie wirkt sich das auf die Milch- und Käseproduktion aus?
Die Menge für Milch und verkäste Milch bleibt konstant. Dies ist auf eine höhere Produktivität der Kühe zurückzuführen. Und es ist auch nicht so, dass die Situation dramatisch wäre. Produkte von der Alp sind beliebt, die Wertschöpfung für den Alpkäse ist gut. Voraussetzung ist aber, dass die Produkte auf der Alp produziert werden und die Milch nicht zu einem billigen Preis ins Tal «abfliesst».
Wie geht es den Alpwirtschaften wirtschaftlich gesehen? Verdienen die Älpler genug, um zu bestehen?
Die Frage ist immer: Welche Grösse und Struktur hat der Betrieb? Wie sind die Besitzverhältnisse? Ist es ein Familienbetrieb oder ist man angestellt?
Die Alpzeit macht nur ein Drittel des Jahres aus und deshalb ist ein Alpbetrieb für sich selten eine rein ökonomische Rechnung. Die gesamte Rechnung über das ganze Jahr hinweg, also die Kombination von Alp- und Talbetrieb, sowie die Multifunktionalität der Betriebe mit dem Tourismus und Gewerbe muss aufgehen.
Die Kantone Bern und Graubünden haben Richtlöhne für Alppersonal. Die anderen Kantone orientieren sich teilweise daran. Früher gab es oft Schwarzarbeit bei der Anstellung von fremdem Alppersonal, heute ist die Situation deutlich besser.
Hat es aktuell und in Zukunft genügend Personal? Wohin geht der Trend?
Auf dem Markt für Alppersonal und Alpstellen herrscht ein reger Austausch. Alpstellen sind saisonal und anstrengend. Aber für viele Menschen hat die Alp einen Reiz, aus dem Alltagstrott des «Tal-Lebens» auszubrechen. Diese Motivation wird auch in Zukunft ein Antrieb sein, auf der Alp zu arbeiten.
Bei den Alpstellen herrscht allerdings eine grosse Fluktuation. Viele Angestellte machen nur einen, zwei oder drei Alpsommer. Früher war das anders. Die hohe Fluktuation ist eine Zeiterscheinung und wird sich in Zukunft kaum ändern.
Auch Personal aus dem Ausland ist für die Schweizer Alpwirtschaft sehr wichtig. Etwa ein Drittel des Alppersonals kommt aus dem Ausland. Die Löhne sind für Franzosen oder Italiener vergleichsweise hoch. Allerdings sollten sie eine entsprechende Ausbildung und Erfahrung mitbringen. Denn der Lohn richtet sich häufig danach. Fährt man eine Strategie mit tiefem Lohn und schlecht geschultem und wenig erfahrenem Alppersonal, kann dies häufiger zu Konflikten führen.
Sennenkurse für die Käseherstellung oder die Ausbildung für angehende Schafhirten sind deshalb wichtig und können Abhilfe schaffen.
Welches sind die künftigen Herausforderungen der Schweizer Alpwirtschaft?
Die gesetzlichen Anforderungen im Tier-, Gewässer- und Lebensmittelbereich sind streng. Im Bereich des Tierwohls geht es meistens um Platz, Abstände, und Stallmasse. Zwischen der Gesetzgebung und dem gesunden Menschenverstand gibt es immer wieder zähe Diskussionen. Deshalb ist der kantonale Vollzug gefordert, Kontrolle und Beratung in die Pflicht zu nehmen, um lösungsorientiert die Alpbewirtschafter zu unterstützen.
Besonders heikel ist aktuell die Thematik rund um den Gewässerschutz. Also wenn es um Güllekästen oder befestigte Flächen für den Mist, Nacht-Pferche oder die Haltung von Alpschweinen geht. Die Bevölkerung ist hier sensibilisiert. Steigen die Vorgaben, muss der Betrieb Investitionen prüfen.
Sind grosse Investitionen für Privatalpen tragbar? Alpen von Gemeinden haben es bestimmt leichter.
So generell kann man das nicht sagen. Nicht alle Gemeinden sind auf Rosen gebettet und die Alpwirtschaft steht bei mancher Gemeinde nicht zuoberst auf der Prioritätenliste.
Bewirtschafter von Alpbetrieben können finanzielle Mittel bei den kantonalen Ämtern für Strukturverbesserungen oder den NGOs wie der Berghilfe oder Coop Patenschaften beantragen. Investitionen sollten immer mit der Beratung genau geplant werden, um eine nachhaltige Betriebsstrategie umsetzen zu können.
Im Zuge des Klimawandels sind zur Sicherstellung der Wasserversorgung gute geplante und langfristige Projekte nötig. Öffentliche Fördermittel können dabei Investitionskosten bis zu drei Viertel der Kosten abdecken.
Wo sehen Sie die Schweizer Alpwirtschaft in zehn Jahren?
Ich schätze, dass sich die Tierbestände wie auch das Alppersonal ziemlich konstant halten werden. Voraussetzung ist die Unterstützung aus der Agrarpolitik und gut funktionierende Talbetriebe.
Potenzial sehe ich in einer optimierten Wertschöpfung der Alpprodukte sowie in Synergien bei der Zusammenarbeit zwischen den Alpen.
Bei agrotouristischen Angeboten wird es auch weiterhin Chancen geben – auch als wirtschaftlich wichtigen Betriebszweig. Denn die Leute lockt es nach wie vor in die Alpen. Der Klimawandel kann einen positiven Effekt haben, weil die Höhenlagen für Tier und Mensch attraktiv bleiben.
Wird es in Zukunft genug Milchkühe für die Alpen geben?
Alpbetriebe, welche hauptsächlich abhängig von Fremdvieh sind, müssen sich nach dem Markt richten. Wenn einer sein Vieh nicht mehr sömmert, weil er den Betrieb aufgibt oder auf Mutterkühe umstellt, dann muss die Alp neue Tiere suchen.
Bei rückläufigen Tierbeständen, wie zur Zeit bei den Schafen und tendenziell auch bei den Milchkühen, erhöht sich dabei der Konkurrenzdruck zwischen den Alpen, um genügend Tiere zu finden. Dramatische Veränderungen sind aber nicht zu erwarten. Es kann sein, dass in Zukunft etwas mehr Mutterkühe gesömmert werden und damit ein leichter Milchrückgang einhergeht.
Zur Person
Daniel Mettler (48) arbeitet seit 2004 bei Agridea. Seine Fachgebiete sind die Landwirtschaft im Berggebiet und der Herdenschutz. Der studierte Philosoph pachtete sieben Jahre lang eine Schafalp im Pizolgebiet SG und lebte 2011 mit seiner Frau, den drei Kindern und zehn Herdenschutz-Hunden einen Sommer lang auf einer gemischten Alp bei Les Diablerets VD.