Kurz & bündig

  • Im Internet Geld sammeln und den Spendern je nach Betrag eine Gegenleistung bieten: Das ist Crowdfunding.
  • Christian Näf hat damit 2017 sein «Geissenparadies» im Göscheneralptal finanziert.
  • Crowdfunding ist dann erfolgreich, wenn das Projekt konkret ist und die Menschen dahinter sichtbar sind.
  • Die Vorbereitung und Betreuung des Projekts braucht Zeit.

Einen Plan B hatte Christian Näf nicht, als er sein Crowdfunding-Projekt «Geissenparadies» im November 2016 auf der Plattform «100-days» (mittlerweile Crowdify) aufschaltet. Er wusste bloss: Will er seinen Traum verwirklichen und den Geissen-Betrieb im Göscheneralptal kaufen, braucht er Geld. Und zwar schnell: Denn der Verpächter hatte ihm nur noch ein Jahr Zeit gegeben, um den Betrieb zu kaufen.

Was dann passierte, gehört zu den Crowdfunding-Erfolgsgeschichten: Nicht nur erreichte Christian Näf die zunächst angepeilten 60'000 Franken in wenigen Tagen. Am Ende hatte er neben den 147'263 Franken der Plattform auch noch weitere Gönner gefunden, die ihn tatkräftig unterstützten. So konnte Näf den Betrieb kaufen, obwohl der Verpächter plötzlich mehr Geld verlangte und zusätzlich ein Wohnrecht forderte.

Crowdfunding-Gegenleistung mit «Geissenparadies»-Bezug

Gegenleistungen für die Unterstützer (bei Crowdify «Booster» genannt») gab es in ganz verschiedener Form, aber immer mit Geissen-Bezug: Von der «Geissenparadies»-Postkarte bis zum Geissraclette-Znacht, der Betriebsführung und dem Gitzifell. Die Betreuung sei aufwändig gewesen, sagt Näf. Er habe ein spezielles Programm dazu verwendet, um nicht den Überblick zu verlieren. Zu einigen Unterstützern hat er immer noch Kontakt.

Seit 2017 gehört der Betrieb mit den drei Teil-Standorten nun ihm. 85 bis 90 Geissen und 4 bis 6 Böcke leben das ganze Jahr bei Näf, im Sommer kommen etwa 100 Sömmerungsziegen dazu. Im Sommer haben Christian und Lydia Näf vier Angestellte. Diese kümmern sich um die Ziegen und die Milchverarbeitung. Christian Näf macht «Geissenparadies»-Führungen, bei denen er «Einblicke in den Betrieb» gibt. Ganzjährig läuft der Verkauf von Milch- und Fleischprodukten.

Das «Geissenparadies» ist erfolgreich

Damit sind Näf und sein Team erfolgreich, sagt er am Telefon. «In der Schweiz ist Geld da – man muss nur wissen, wie man dazu kommt», sagt er und lacht. Ende April hat es auf der Schattenseite des Tals noch Schnee, erzählt er. Der Betrieb laufe super, Näf erzählt von seiner kleinen Tochter und den Umzugsplänen. Denn im Gebäude, das er sich bis April mit den Angestellten geteilt hat, werde es eng: «Wir sind im Sommer immer sieben bis acht Leute am Tisch. Es ist für alle besser, mehr Privatsphäre zu haben.»

Seit 2018 sind Lydia und Christian Näf verheiratet, am 20. November 19 kam Tochter Nora zur Welt. Und so sehr Christian Näf das Tal und die Erhaltung der Landwirtschaft am Herzen liegt: Er denkt auch an seine Familie und möchte mit dieser Zeit verbringen.

Viel Vorbereitung fürs Crowdfunding

Christian Näf hat seine Crowdfunding-Aktion intensiv vorbereitet: Antonia Meile hatte er für die Sommersaison 2016 als Allrounderin angestellt – mit dem Fokus, einen Film über das «Geissenparadies» zu drehen. Das siebenminütige Video gibt einen Einblick ins Leben von Näf und seine Vorstellungen und war einer der Erfolgsfaktoren. «Ich habe wohl einen Nerv getroffen», sagt Näf. Die Verbindung von Nachhaltigkeit und der Idee, in einem wildromantischen Tal den Bauernschwund aufzuhalten, sei gut angekommen.

Nach dem Kauf des «Geissenparadies» will nun Näf nun einen Neubau wagen

Mittlerweile hat Näf ein neues Projekt vor Augen: Christian und Lydia Näf möchten 2021 einen Neubau mit Stall, Käserei und Schlachtanlage realisieren. Die Gebäude seien alt, die Arbeitsabläufe ineffizient und dadurch werde der Arbeitsaufwand gigantisch, sagt Christian Näf. Der Aufbau, das Zurückbauen und Einwintern von Ställen, Unterständen oder das mehrfache Umgabeln von Heu im Heustock nehmen jährlich etwa drei bis vier Wochen Arbeitszeit in Anspruch. Zudem bietet sich 2021 die Gelegenheit, einen Nachbarbetrieb zu übernehmen.

Finanzierung des Neubaus fürs «Geissenparadies» mit der Bank und privaten Spendern

Für den Neubau will Christian Näf nicht auf Crowdfunding setzen: «Das würde wohl auf wenig Verständnis stossen, wenn ich nach nur drei Jahren schon wieder Geld sammle.» Deshalb hat er ein Betriebskonzept erarbeitet, Bank, Kanton und Bund ins Projekt einbezogen.

Nun hat er die grössten Schweizer Unternehmen sowie Stiftungen angeschrieben und hofft auf positive Rückmeldungen. Denn dieses Mal geht es um rund 2 Millionen Franken. «Ich hoffe, Corona macht mir nicht einen Strick durch die Rechnung», sagt Näf. Denn im Berggebiet ist das Zeitfenster für Bauarbeiten klein, er muss zwingend starten, sobald der Schnee weg ist.

 

Was ist Crowdfunding?

Crowdfunding setzt sich zusammen aus dem englischen «crowd» für Menschenmenge und «funding» für Finanzierung. Gemeint ist die Schwarm-finanzierung von Projekten durch private Kapitalgeber, die über spezialisierte Online-Plattformen gesucht werden.

Es gibt vier Varianten des Crowdfunding:

  1. Crowddonation: Spenden
  2. Crowdsupporting: Belohnungsbasiert
  3. Crowdlending: Darlehen
  4. Crowdinvesting: Kapitalbeteiligung

Das «Heimetli» in Ennetmoos mit Crowdfunding finanziert

Gebaut wird derweil in Ennetmoos im Kanton Nidwalden: Martina und Andreas Käslin haben den Neubau ihres Anbindestalls über die Plattform Funders sicher gestellt und so ihr «Heimetli» gerettet. Dani Lütolf von Funders schreibt, dass es grundsätzlich bei allen Projekten dasselbe sei: «Es muss emotional sein, klar und einfach formuliert und die Community muss bereits vor dem Projektstart vorhanden sein.» Ebenso müssen die Gegenleistungen attraktiv, limitiert und exklusiv sein. Sofern dies alles zutrifft, sei die Chance auf einen Projekterfolg gegeben.

Spezielle Tipps für Projekte aus der Landwirtschaft gebe es nicht: «Wer Kapital sucht, nimmt mit uns Kontakt auf und wir unterstützen den Projektstarter.» Mit einer Erfolgsquote von knapp 75 Prozent und aktuell vier Schweizer Rekorden stehe Funders an der Spitze der Crowdfunding-Plattformen in der Schweiz.

Plattformbesitzerin von Funders ist die Luzerner Kantonalbank. Funders hat weitere Kooperationspartner wie die Obwaldner Kantonalbank, die Nidwaldner Kantonalbank und die Berner Kantonalbank. Weitere Kooperationspartner werden noch hinzukommen. Die finanziellen Abwicklungen und das Inkasso macht das Funders-Team der Luzerner Kantonalbank. Funders verlangt pauschal eine Gebühr von 7 Prozent bei erfolgreichen Projekten. Wenn das Projekt nicht zum Erfolg kommt, werden keine Gebühren belastet.

Das Herzblut hinter einem Crowdfunding-Projekt muss spürbar sein

Etwas anders ist die Plattform wemakeit aufgestellt: Geschäftsführerin Céline Fallet schreibt, dass sie eigenständig, privat geführt und werbefrei seien. Erfolgreich seien Projekte, die sehr konkret sind und bei denen das Herzblut spürbar ist.

Etwa bei Jürg Wirth, der 2014 genug Geld sammelte, um sein Projekt «Agrikultur in Lavin» umzusetzen. Er hat nicht nur den Betrieb Uschlaingias gekauft, sondern führt auch im stillgelegten Bahnhof Lavin das Bistro Staziun.

Bei wemakeit gibt es eine Crowdfunding Academy, die viele Tipps und Tricks weitergibt. Zudem gibt es ein Beratungsteam und für grössere Projekte auch Coachingworkshops. «Ein durchschnittliches Projekt erreicht bei wemakeit rund 15'000 Franken, bei den Landwirtschaftsprojekten ist dieser Durchschnitt erfreulicherweise höher», so Fallet.

Viele Projekte sammeln zwischen 30'000 und 50'000 Franken. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Das grösste Projekt hat bei wemakeit 350'000 Franken gesammelt.

Ein Crowdfunding-Projekt ist mit Aufwand verbunden

In der Westschweiz hat sich «Yes we farm» über Mund-zu-Mund-Propaganda einen Namen gemacht. Die Plattform wendet sich explizit an Landwirtschafts-Projekte. In der Deutschschweiz kümmert sich Daniel Bärtschi um den Aufbau: «Das braucht noch etwas Geduld: Vor allem in der aktuellen Corona-Situation», sagt er. Er sieht Chancen: «Gegessen wird immer und Direktvermarktung boomt!»

Aber es sei schwieriger, etwas, das in der Westschweiz erfolgreich sei, in die Deutschschweiz zu bringen als umgekehrt.

Erfolgreich seien lokale Projekte, welche die Unterstützer auch besuchen können. Einen Weinkeller zum Beispiel oder «L’épicerie autrement» im jurassischen Tramelan. Dieses Projekt eines (Bio-)Lebensmittelladens mit Offenverkauf hat innert 50 Tagen das Ziel von 35'000 Franken erreicht.

Bärtschi sagt, dass sich Projekte im Rahmen von 10'000 bis 60'000 Franken eignen: Crowdfunding sei mit einem gewissen Aufwand verbunden, etwa für das Drehen eines Videos, welches das Projekt sympathisch vorstellt und die Betreuung der Unterstützer.

Es brauche ein Netzwerk, das sich zur Fangemeinde und Kundschaft entwickelt, sobald das Projekt umgesetzt sei. Dieses Netzwerk sieht Bärtschi auch als Hauptvorteil gegenüber einem Bankkredit: «Die Menschen unterstützen das Projekt über die Laufzeit eines Kredits hinaus.»

Die Menschen hinter dem Projekt müssen sichtbar sein

Christian Näf hat für sein «Geissenparadies» 2017 die Plattform «100-days» genutzt. Mittlerweile heisst die Plattform Crowdify. Sie ist eine GmbH, wurde ohne jegliche Investoren oder Teilhaber aufgebaut und ist komplett unabhängig.

Erfolgreich seien vor allem soziale Projekte oder Projekte, bei denen es um etwas konkretes gehe, schreibt Andrea Scherrer von Crowdify. Wichtig seien eine gute Projekt-Story, ein gutes Video, spannende Gegenleistungen und ein klares Projektziel. Zudem sollten die Menschen hinter dem Projekt sichtbar sein: «Crowdfunding ist schlussendlich Vertrauenssache.»

Auch möglich: Kredite ohne Bank, dafür mit Crowdlending

Einen weiteren Weg, zu Geld zu kommen, bietet seit 2008 die Plattform Cashare. Diese Kredite kommen von privaten und institutionellen Investoren, die direkt über die Plattform in die verschiedenen Kreditprojekte ohne Umwege über die Bank investieren können.

Kreditnehmer und Anleger profitieren von besseren Zinsen, da der Mittelsmann Bank ausgeschaltet wird. Die Plattform ist für die seriöse und sichere Abwicklung besorgt.

Michael Borter von Cashare sagt, dass es schon Anfragen von Landwirten gab, allerdings im gesamten Verhältnis an KMU-Krediten eher wenige. Bei den Anfragen ging es meistens darum, Investitionsgüter zu finanzieren: «In unseren Fällen waren das oft neue Solaranlagen auf den Dächern.»

Beim Crowdfunding geht «Probieren über Studieren»

Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband sieht Crowdfunding als interessante Möglichkeit: «Sie funktioniert aber wohl vor allem in Nischen und bei Spezialitäten und eher bei kleineren Betrieben.»

Es werde wohl niemand bereit sein, einem Bauern einen neuen Milchviehstall für 60 Kühe mitzufinanzieren, auch wenn er dafür lebenslang Butter bekomme. Neue, innovative Idee, die auf konventionellem Weg schwierig zu finanzieren seien, erachtet sie als geeignet.

Das Schöne am Crowdfunding sei: Probieren geht über Studieren! Als Nachteil sieht Helfenstein, dass es geeignete Gegenleistungen braucht: «Und diese sind meist mit einem nicht zu unterschätzenden Aufwand verbunden.»​

 

Crowdfundig-Plattformen in der Schweiz

  • In der Schweiz ist die Plattform «Yes we farm» auf landwirtschaftliche Projekte spezialisiert.yeswefarm.ch
  • Crowdify (ehemals 100-days) gibt es seit 2012. Die Plattform gehört zum Schweizer Städte-Newsletter Ron Orp.
  • Die Crowdfunding-Plattform wemakeit gibt es seit 2012. Sie ist eine der grössten in Europa.
  • Die Plattform Funders bietet sowohl Crowdsupporting wie Crowdlending an.
  • Die Crowdlending-Plattform Cashare gibt es seit 2008.