Kurz & bündig

- Nabelentzündungen und hartnäckige Lungenentzündungen führten auf dem Beispiels-betrieb zu vielen Kälberabgängen.
- Betroffen waren nur die Kälber, die auf der Alp zur Welt kamen.
- Wichtigste Risikofaktoren für eine Nabelentzündung sind Feuchtigkeit und Verschmutzung im Abkalbebereich sowie eine ungenügende Kolostrum-Versorgung (Menge und/oder Qualität).
- Es kam der Verdacht auf, dass die Kolostrumaufnahme auf der Alp nicht ausreichend sei – weil die Kühe gestresst waren.

Massive Probleme mit der Kälbergesundheit waren der Grund, dass sich ein Landwirt an den Kälbergesundheitsdienst KGD wandte: Ein Drittel der neugeborenen Kälber litt unter einer Nabelentzündung und mehr als die Hälfte der Kälber hatte zudem eine teils hartnäckige und nur schwer therapierbare Lungenentzündung. Trotz intensiver Bemühungen von Landwirt und Bestandestierarzt lag die Verlustrate bei 10 Prozent.

Und so standen wir wenige Tage später am Rande eines schönen Bergdorfes im Bündnerland auf dem Mutterkuhbetrieb, der 35 Mutterkühe der Rasse Original Braunvieh und Rätisches Grauvieh hielt.

Die Abkalbung erfolgte saisonal im August (zwei Drittel der Herde) und im Februar (ein Drittel der Herde). Im Herbst wird für zwei Monate ein Muni gemietet, ansonsten wird besamt. Die Herde wird das ganze Jahr über in einer Gruppe gehalten. Alle Tiere werden gealpt, wobei zwei Drittel der Kühe dort auch abkalben.

Nur Kälber, die auf der Alp zur Welt kommen, erkranken

Bei der intensiven Befragung des Landwirtes fiel zunächst auf, dass nur Kälber erkrankten, die auf der Alp zur Welt kamen. Dies war ein spannender Befund, denn normalerweise sind Kälber, die auf der Alp oder auf der Weide geboren werden, auf Grund des geringeren Keimdruckes im Freien sehr gesund. Es galt somit, die Routinen auf der Alp genauer zu betrachten.

Tatsächlich wurde auf der Alp vorbildlich nach den neuesten Empfehlungen gearbeitet. Kalbende Kühe wurden von der Herde abgetrennt und in einer separaten, doppelt abgezäunten Abkalbeweide gehalten. Die Kalbung sollte dadurch für Muttertier und Kalb so geschützt wie möglich erfolgen.

Die doppelte Abzäunung soll gewährleisten, dass sich das Kalb nicht ungewollt aus der Einzäunung entfernt und auch keine Wanderer auf die Idee kommen, das Areal zu betreten.

Grossraubtiere, mit denen heutige Alpen mehr und mehr zu tun haben, lassen sich so aber kaum abwehren. Im Normalfall kann sich der Rest der Alpherde zudem recht weit von der Abkalbeweide entfernen und somit ausserhalb der Sicht- und Hördistanz des Muttertieres sein.

Mangelhafte Kolostrumversorgung könnte das Problem sein

Der Verdacht einer mangelhaften Kolostrumversorgung bzw. Kolostrumqualität lag nahe, da unterschiedliche Krankheiten auftraten. Die hochträchtigen Kühe wurden anfangs der Alpsaison ohne Kälber gealpt.

Die Galtzeit wurde somit eingehalten und Kolostrum von guter Qualität war wahrscheinlich, denn eine Kuh auf der Weide lässt sich im Normalfall nicht von fremden Kälbern besaugen.

Ein Selenmangel, welcher zu einer verminderten Sauglust und Vitalität bei den Kälbern geführt hätte, konnte mittels Beprobung ausgeschlossen werden.

Sind die Mutterkühe auf der Alp gestresst?

Waren die Kühe auf der Alp gestresst und liessen als Folge ihre Kälber in ungenügendem Masse trinken? Mögliche Ursache wären die Trennung von der Herde, oder auch die isolierte Haltung. Weitere Stressursachen, die im Gespräch eruiert wurden, waren ein gut frequentierter Wanderweg nahe an der Abkalbeweide vorbei. Zudem fanden immer wieder militärische Übungsflüge über dem Alpgebiet statt – einhergehend mit einer erhöhten Lärmbelastung der Tiere.

Anforderungen an den Abkalbe-Ort
- hygienisch einwandfrei, trocken
- ruhige und sichere Umgebung
- Sichtkontakt zur Herde
- freier Zugang zu Futter und Wasser
- trittsicherer, weicher Boden

Eine weitere mögliche Stressursache könnte die zunehmende Anzahl der Wölfe im Kanton Graubünden sein, welche mittlerweile bereits in Rudeln unterwegs sind. Gerade bei abkalbenden Kühen und Kühen mit einem Neugeborenen im Abkalbeabteil erscheint dadurch ein immenser Stresspegel realistisch.

Lebenswichtige Abwehrstoffe im Blut nicht ausreichend hoch

Es wurde abgemacht, in der kommenden Alpsaison den Verdacht einer nicht adäquaten Kolostrumversorgung zu untersuchen, und zwar mittels Blutuntersuchung bei den Kälbern bis zum 10. Lebenstag und mittels Überprüfung der Kolostrumqualität. Allerdings gelang es dem Alppersonal bis auf eine einzelne Kuh nicht, Biestmilch abzumelken.

Die Blutuntersuchungen mehrerer Kälber zeigten, dass die Versorgung mit den lebenswichtigen Abwehrstoffen aus der Biestmilch nur in etwa 50 Prozent der Fälle ausreichend hoch war.

Nabellängen und Geburtsverlauf notiert

Zusätzlich wurden die Nabellängen und, sofern bekannt, der Geburtsverlauf notiert, da auch zu kurz abgerissene Näbel oder eine Hinterendlage zu einem gehäuften Auftreten von Nabelentzündungen führen können. Diesbezüglich ergaben sich auf diesem Betrieb aber keine Probleme.

Was der wirkliche Grund für den Stress der Muttertiere war, konnte trotz vermehrtem Augenmerk nicht sicher eruiert werden.

Optimale Nabelversorgung
Für eine optimale Nabelversorgung von Mutterkuhkälbern gilt:

- mehrmalige Sichtkontrolle der Nabelschnur auf schnelle Eintrocknung. Maximal 4 Tage nach der Geburt trocken, nachca. 2 Wochen abgefallen.

- misst der Hautmantel des Nabelstranges mindestens 7 cm, ist das Risiko einer aufsteigenden Nabelentzündung klein, da der Weg für potenzielle Erreger zu lang ist.

- sollte der Nabel zu kurz abgerissen sein, sollte der Nabel und dessen Umgebung von aussen mit Jod-Alkohol-Lösung (10 %) oder PVP-Lösung benetzt werden; bei Blutungen aus dem Nabel schnell Tierarzt beiziehen.

- Nabel möglichst nicht berühren.

- optimale Hygiene in der Abkalbebox ist wichtig, da Feuchtigkeit und Verschmutzung wichtige Risikofaktoren sind.

- bei vermehrtem Lecken der Mütter am Nabel des Kalbes die Mineralstoff- und Spurenelementversorgung der Mutterkühe überprüfen (Leckstein in Futtermittel integriert), speziell auf die Selen- und Phosphorversorgung achten.

- bei verminderter Sauglust des Kalbes und Schmerzsymptomen (Zähneknirschen, aufgekrümmter Rücken) unbedingt eine Nabelkontrolle durchführen: Wenn der Nabel vergrössert, verdickt und schmerzhaft ist und das Kalb ev. Fieber zeigt, sollte der Tierarzt beigezogen werden, damit das Kalb optimal therapiert werden kann.

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Abkalbungen im Stall normalisieren die Kälbergesundheit

Wir kamen aber mit dem Landwirt überein, die Abkalbungen auf die Stallsaison zu verlegen, um die Stressfaktoren auf der Alp auszuschalten. Und tatsächlich normalisierte sich die Kälbergesundheit und gehäufte Erkrankungen traten nicht mehr auf.

Dieses Fallbeispiel zeigt einmal mehr die Wichtigkeit einer adäquaten Kolostrumversorgung, welche die wichtigste «Versicherung» für die Immunprophylaxe junger Kälber darstellt.

Zudem ist eine sichere und ruhige Umgebung um die Geburt und in der Zeit kurz danach immens wichtig, damit eine erfolgreiche Mutter-Kalb-Bindung und eine damit verbundene genügend hohe Kolostrumaufnahme überhaupt erst möglich wird.

Agridea hat für Herdenschutz Schweiz ein Merkblatt verfasst, in dem es unter anderem um den Schutz von Abkalbeweiden im Sömmerungsgebiet durch Muttertiere geht.