Neue genomische Techniken NGT, das ist die neuste Generation von molekularbiologischen Werkzeugen für die Pflanzenzüchtung. Sie können das Erbgut einer Pflanze so verändern, wie dies auch in der Natur geschehen könnte. In der Natur oder durch konventionelle Züchtungsmethoden dauert es aber länger.

Abo Ein Symbildbild zeigt einen Hochstammbaum voller roter Äpfel, der in einem Obstgarten steht. Gentechnologie Lockerungen bei neuen genomischen Techniken der Pflanzenzüchtung Dienstag, 5. September 2023 NGT erhalten aktuell viel Aufmerksamkeit. Die Europäische Union diskutiert, ob und wie die Regulierung dieser NGT künftig gelockert werden kann. Und auch die Schweiz muss sich Gedanken dazu machen, wie sie mit den NGT umgehen will: Sollen die Techniken und die damit gezüchteten Kulturpflanzen erlaubt werden – oder nicht? 

In der Vergangenheit stiess Gentechnologie in der Schweiz auf viel Skepsis. Der Anbau gentechnisch veränderter Organismen GVO ist bis heute nicht erlaubt. Gegenüber NGT und deren einfachsten Anwendung (Kategorie 1, siehe Glossar) scheint die Bevölkerung offener zu sein.

Doch was würde nach einer solchen Zulassung geschehen? «die grüne» hat bei Bruno Studer, Professor an der ETH Zürich, nachgefragt.

Glossar

CRISPR/Cas: umgangssprachlich «Genschere» genannt. Damit lässt sich die Erbsubstanz an einer gewünschten Stelle verändern.
Genom: Gesamtheit des Erbguts (Gene) eines Organismus.
Genom-Editierung: gezielte Bearbeitung des Genoms durch Methoden der Molekularbiologie.
GVO: gentechnisch veränderte Organismen (englisch: GMO)
NGT: neue genomische Techniken. Darunter fällt auch CRISPR/Cas.
NGT Kategorie 1: Zu dieser Kategorie gehören Pflanzen, die mit Hilfe von NGT erzeugt wurden, die aber auch auf natürliche Weise oder mittels herkömmlicher Züchtung entstehen könnten.
NGT Kategorie 2: Alle NGT-Pflanzen, die nicht den Kriterien der NGT Kategorie 1 entsprechen. Für diese gelten ähnliche Vorschriften wie für klassische GVO-Pflanzen.

Bruno Studer, sind Techniken wie CRISPR/Cas die Lösung für alle unsere Probleme? Werden sie den Welthunger stillen?

Bruno Studer: Nein, CRISPR/Cas und andere neue genomische Techniken lösen nicht alle Probleme. Sie sind lediglich ein mögliches Werkzeug für die Pflanzenzüchtung. Ein zugegebenermassen sehr starkes Werkzeug, das viele neue Möglichkeiten eröffnet.

Wie erfolgreich werden NGT-Pflanzen im Feld angebaut?

In der Schweiz, in Europa und anderen Ländern können solche Pflanzen nur zu Forschungszwecken und unter strengen Bedingungen im Feld getestet werden. Sie sind also zur regulären Sortenprüfung nicht zugelassen. Und solange dies nicht der Fall ist, ist es auch logisch, dass es keine NGT-Sorten auf dem Markt gibt und nichts angebaut wird. Dort, wo man die Pflanzen ins Feld stellen darf, sieht man Erfolge: Das Paradebeispiel ist die Mehltauresistenz von Weizen, die in China gut funktioniert.

In der Forschung ist mehr erlaubt. Auch in der Schweiz forschen Sie und andere an NGT, unter strengen Auflagen. Woran arbeiten Sie?

Wir konzentrieren uns auf CRISPR/Cas, eine der verschiedenen NGT. Dabei haben wir einerseits einen methodischen Fokus: Wie kann man möglichst effizient gezielte Veränderungen vornehmen, ohne dabei fremde Erbsubstanz zu benutzen?

Andererseits liegt unser thematischer Fokus auf Krankheitsresistenzen, hauptsächlich bei Äpfeln. Äpfel sind ökonomisch und kulturhistorisch sehr wichtig, haben aber in ihrer Produktion einen hohen ökologischen Fussabdruck. Wir können also an einem wichtigen Hebel ansetzen, um durch resistente Apfelsorten den Pflanzenschutzmittel-Einsatz zu reduzieren.

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«Das Paradebeispiel ist die Mehltauresistenz von Weizen, die in China gut funktioniert.»

Bruno Studer

In unserer Arbeit geht es unter anderem auch darum, verschiedene Resistenzmechanismen zu kombinieren. Denn ein einzelnes Resistenzgen kann von Krankheitserregern, die sich evolutiv sehr rasch anpassen, durchbrochen werden. Wenn wir verschiedene Mechanismen kombinieren können, ist das der Schlüssel, Resistenzen dauerhafter zu machen.

Gesetzt den Fall, NGT-Pflanzen der Kategorie 1 (siehe Glossar) werden in der Schweiz erlaubt: Was wird passieren? Sind die Firmen schon bereit, uns neue Sorten anzubieten?

Es ist schwierig, nach mehreren Jahrzehnten des Verbots der Technologie, den Hebel umzulegen und zu sagen, wir sind wieder da. Es gibt in Europa erste Firmen, die sich darauf einstellen und Genom-Editierung bei Pflanzen anbieten wollen. Weltweit, vor allem in China und den USA, gibt es sehr viele Start-ups.

Wird die Schweiz die fixfertigen NGT-Sorten also aus China importieren? Oder wird auch bei uns mit NGT gezüchtet werden?

Zur Person
Bruno Studer ist seit 2016 Professor für molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Aufgewachsen auf einem Bauernhof in der Zentralschweiz, studierte Studer Agronomie an der ETH Zürich.

Studers Forschungsgruppe arbeitet unter anderem mit neuen genomischen Techniken (NGT) der Pflanzenzüchtung. Er sei kein Gentechnologe, sagt der 46-Jährige: «Ich bin Agrarwissenschaftler. Aber CRISPR/Cas und andere NGT sind heute in der modernen Züchtungsforschung nicht mehr wegzu-denken.»

Er sieht, zusammen mit einer überwältigenden Mehrheit von WissenschaftlerInnen, grosses Potenzial in NGT und sagt, dass diese Methoden nicht gefährlicher seien als konventionelle Züchtung.

Ich hoffe, dass die Schweiz sich nicht von anderen Ländern abhängig macht und selber aktiv werden kann. Es braucht jedoch zuerst viel Kompetenzaufbau und gute Rahmenbedingungen.

Und dann braucht es vor allem auch die Branche und die Wertschöpfungskette, die mitziehen. Denn viele haben die Vorstellung, dass eine neue NGT-Sorte direkt aus dem Labor in den Sortenkatalog kommt. Das funktioniert nicht so. Sondern die Forschung kann mittels NGT Pflanzenmaterial editieren. Anschliessend werden die Züchter dieses Material verwenden, um ihre eigenen Sorten zu verbessern.

Züchter sind stets auf der Suche nach Material, um ihren Genpool mit wichtigen Eigenschaften zu erweitern. Das werden sie unter anderem finden, wenn NGT erlaubt werden.

Was wird sich für LandwirtInnen ändern, wenn NGT-Pflanzen erlaubt werden?

Kurzfristig, das heisst in den ersten fünf Jahren, würde sich wenig ändern. Denn wie alle neuen Sorten werden auch NGT-Pflanzen durch die Sortenprüfung gehen müssen. Diese dauert mehrere Jahre und anschliessend muss die Sorte auch noch vermehrt werden.

Mittelfristig werden Merkmale, die mittels NGT gezüchtet wurden, entweder direkt oder indirekt zum Landwirt kommen. Davon wird der Landwirt profitieren – dank besserer Sorten. Diese werden beispielsweise seltener gespritzt werden müssen.

Was wird langfristig geschehen?

Langfristig kann ich mir gut vorstellen, dass alte Kulturpflanzen neu zurückkommen. Als Beispiel: Wenn wir beim Buchweizen das synchronisierte Abreifen mit NGT verbessern könnten, wäre dies der Schlüssel, um wieder vermehrt Buchweizen anzubauen und einen vernünftigen Ertrag zu ernten. Das wäre gut für die Agrobiodiversität.

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Ausserdem können etablierte Kulturpflanzen verbessert werden, indem man beispielsweise Fettsäuremuster optimiert, giftige Sekundär-Metabolite entfernt oder Allergene herauszüchtet.

Es wird also nicht nur eine breitere Palette angebauter Kulturpflanzen geben, sondern es wird auch neue Merkmale geben, die wir mit konventioneller Züchtung einfach nicht bearbeiten können.

Es gibt kritische Stimmen, die davor warnen, dass die Biodiversität durch gentechnisch veränderte Organismen bedroht wird. Was sagen Sie dazu?

Das hängt davon ab, wie man diese Technologien nutzt: Es wurde bereits mehrfach gezeigt, dass durch NTG die Genpools von Wildpflanzen einer Kulturart für die Züchtung zugänglich gemacht werden könnten. Das vergrössert die genetische Vielfalt, aus welcher die Pflanzenzüchtung schöpfen kann.

Ausserdem ist jedes Kilogramm Pflanzenschutzmittel, das dank krankheitsresistenter NGT-Pflanzen nicht gespritzt werden muss, gut für die Biodiversität.

Sie sprechen von alten Kulturpflanzen, welche die Agrobiodiversität erhöhen sollen. Wird es nicht eher so kommen, dass die Technologien von den grossen Konzernen angewendet werden, die sich wiederum auf die grossen Märkte fokussieren werden – auf Mais, Reis, Soja?

Genau das ist passiert, durch die starke Regulierung der herkömmlichen Gentechnologie: Es konnten sich nur die grössten Konzerne die teuren Deregulierungsverfahren leisten. Das hat die Gentechnologie in die Hände einiger weniger gespielt.

Ich bin der Meinung, dass das für NGT nicht passieren sollte. Die Technologie muss zugänglich sein, für die kleinen und mittleren Züchter genauso wie für die grossen Unternehmen.

Sie befürworten also eine Lockerung des heute geltenden Verbots von NGT in der Schweiz?

Ich bin dafür, dass man ein fast zwanzig Jahre altes Gesetz an den heutigen Wissensstand und den enormen technischen Fortschritt auf diesem Gebiet anpasst.

Wie steht es um das Patentrecht? Brauchen wir dort auch eine Anpassung an die NGT?

Abo Kartoffelpflanzen, die von Kraut- und Knollenfäule befallen sind. Pflanzenzüchtung & Gentechnologie Was CRISPR/Cas in der Pflanzenzüchtung möglich macht Montag, 15. Januar 2024 Patentierung funktioniert nicht überall auf der Welt gleich. In Europa und der Schweiz kann man nicht einfach eine Pflanze oder ein Gen patentieren. Was man patentieren kann, ist eine neue Methode zur Modifizierung des Genoms. Und interessanterweise kann man auch das Produkt daraus patentieren lassen. Das ist ein Problem, weil es das NGT-Pflanzenmaterial patentrechtlich schützt. Wer damit züchten will, muss Lizenzgebühren zahlen. Das kann den Zugang zu NGT-Pflanzenmaterial durch finanzielle Hürden erschweren. 

In der Schweiz und der EU finden aktuell spannende Diskussionen statt rund um die Patentierung. Wichtig ist dabei, dass künftig die Verfügbarkeit von NGT-Pflanzenmaterial für alle gleichermassen gegeben ist.

 

Die Interviews für «die grüne» werden zunächst im Wortlaut transkribiert und danach – in Absprache mit den Gesprächspartnern – zur besseren Verständlichkeit bearbeitet und wenn nötig gekürzt.