Die Anfänge von Case IH liegen weit zurück, in der Zeit der Besiedlung und Urbarmachung des Mittleren Westens, der auch als «Herzland Amerikas» bezeichnet wird. Dazu gehören jene neun US-Bundesstaaten westlich der Grossen Seen, die eine bedeutende Rolle für die Industrie und Landwirtschaft der USA spielten.

In den 1830er-Jahren entwickelte Cyrus McCormick in Chicago eine von Pferden gezogene Mähmaschine. Dieser Balkenmäher beschleunigte die Ernte massiv. McCormick verkaufte ihn in ganz Amerika über ein Netz von ausgebildeten Vertretern, welche die Mähmaschine bei den Farmern direkt vorführten. Überall dort, wo die neu gebauten Eisenbahn-Strecken hinführten.

1884 übergab Cyrus senior das Geschäft an Cyrus junior, der mit seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber seinen Arbeitern in die Geschichte einging. In Chicago kam es im Mai 1886 zur so genannten «Heumarkt-Affäre», in der Anarchisten eine Bombe zündeten, während Fabrikarbeiter für bessere Arbeitsbedingungen und einen Achtstundentag demonstrierten. Die Proteste gelten als der Anfang vom 1. Mai als Tag der Arbeit.

Etwa zur gleichen Zeit wie Mc-Cormick betrieb Jerome Case in Williamsburg im Bundesstaat New York das, was man heute ein Lohnunternehmen nennen würde. Sein Vater importierte aus England noch ziemlich primitiven Maschinen, mit denen Case das Getreide seiner Nachbarn erntete und drosch.

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Der Preis für die ersten Maschinen von Case: Hochzinsige Kredite – oder ein Stück Land

Nach der Ernte kaufte sich Jerome Case im Herbst 1842 mit einem Kredit sechs Maschinen und reiste in Richtung Chicago. Auf dem Weg verkaufte er fünf Maschinen und behielt eine für sich. Diese wollte er im Lauf des Winters verbessern, um im nächsten Jahr dasselbe Geschäft nochmals zu machen – nur profitabler. Allerdings wurde die Maschine nicht fertig bis zur nächsten Ernte. Doch im übernächsten Jahr war es soweit und Case eröffnete seine Fabrik in Racine, 100 Kilometer nördlich von Chicago.

Wie bei McCormick wuchs das Geschäft von Jerome Case, trotz immer wieder neuen Krisen. Er finanzierte seine Maschinen jeweils mit hochzinsigen Krediten, welche die Bauern oft nicht bedienen konnten. Und weil sich der US-Dollar noch nicht im ganzen Land durchgesetzt hatte, sondern die US-Bundesstaaten ihr eigenes, unzuverlässiges Papiergeld druckten, nahm Case auch Getreide, Fleisch, Tiere oder Land als Zahlungsmittel für seine Maschinen.

In den 1920er- und 1930er-Jahren wurde International Harvester im wörtlichen Sinne international

Case und McCormick bauten früh auch Traktoren. Bei Case waren es anfangs gigantische, mit Dampfmaschinen betriebene Monster, die über einen Transmissionsriemen auch alle andern landwirtschaftlichen Geräte antreiben konnten. Die meterlangen Riemen aus Kamelhaar waren damals das, was heute Zapfwelle und Hydraulik sind.

Diese Dampfmaschinen waren die Vorgänger der modernen Grosstraktoren. An den Landwirtschafts-Messen in den USA sind sie noch heute die grosse Attraktion, wenn sie schnaubend und rauchend riesige Pflüge
über den Acker ziehen. Und das Publikum johlt vor (Schaden-)Freude, wenn die alten Dampfmaschinen einen modernen Traktor mit durchdrehenden Rädern hinter sich her schleifen.

1902 fusionierte McCormick mit drei anderen Herstellern von Landwirtschafts-Maschinen zur International Harvester Corporation IH. Die Firma war schon damals ein multinationaler Konzern: Sogar auf sowjetischen Propagandabildern aus den 1920er und 1930er Jahren sind «International»-Traktoren zu sehen.

Schon 1932 gab es bei IH den ersten Traktor mit einem Dieselmotor. Allerdings war er eine Art «Bi-Fuel-
Motor»: Der Traktor wurde erst mit Benzin gestartet und erst dann – wenn er ordentlich warmgelaufen war – auf den viel billigeren Diesel umgeschaltet. Die damaligen Dieselmotoren waren schwierig zu starten. Bei den im Mittleren Westen tiefen Winter-Temperaturen war es sogar ein Ding der Unmöglichkeit.

So seltsam das Prinzip heute anmutet, es existiert noch immer: Der weissrussische Hersteller Belarus produziert Dieseltraktoren ohne Starter-Batterie, dafür aber mit einem kleinen Benzinmotor. Dieser wird mit einem kräftigen Zug am Seil gestartet, wärmt den Motor und das Kühlwasser – und startet ein paar Minuten später den Dieselmotor. Auf diese Weise springt auch bei -50 Grad im tiefsten Sibirien jeder Traktor an. Der Starter-Motor wird immer noch hergestellt und für 300 Euro im Internet verkauft.

1895 begann Case, Benzinmotoren zu bauen, und schon 1905 erschien der erste Case-Traktor auf dem Markt. Die Wege der beiden Firmen kreuzten sich immer wieder. Sie waren auf denselben Märkten tätig, national wie international, und produzierten in derselben Region.

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Der Designer Loewy gestaltete die schönsten IH-Traktoren – und die «Coca-Cola»-Flasche

Als 1871 der Grosse Brand von Chicago die ganze Innenstadt und dabei auch die McCormick-Fabrik komplett zerstörte, bot Case der Familie McCormick an, mit Produktionskapazitäten auszuhelfen. Diese lehnten aber ab und bauten lieber ohne fremde Hilfe eine komplett neue Fabrik.

Beide Firmen expandierten und vor allem IH legte grosses Gewicht aufs Marketing. 1929 heuerte IH deshalb mit Raymond Loewy den renommiertesten Industriedesigner der USA an. Mit seinem Stromlinien-Design prägte Loewy das Bild der USA während Jahrzehnten: Lokomotiven, Greyhound-Busse, Studebaker-Autos, Kühlschränke, aber auch die Logos von «Shell» (Öl) und «Lucky Strike» (Zigaretten) – und die legendäre Konturenflasche von «Coca-Cola». Für IH gestaltete er in seiner unverkennbaren Design-Handschrift die gesamte Traktoren-Linie neu.

Kühler, Benzintank und Oberseite des Motors – bisher freiliegend – waren nun in einem stromlinienförmigen Gehäuse verpackt. Die IH-Traktoren sahen plötzlich aus wie ein Blick in die Zukunft der Landwirtschaft.

Während Case sich immer an die Wurzeln hielt und seine Produkte an der Landwirtschaft ausrichtete, wurde IH nach dem Zweiten Weltkrieg zum Gemischtwaren-Laden. Da wurde alles produziert, in unübersichtlicher Produkte-Vielfalt und oft mit miserablen Margen: Haushaltsgeräte, Kühlschränke und Geländewagen.

Von 1961 bis 1980 baute IH zum Beispiel den «International Harvester Scout» als Konkurrenz zum «Jeep». Auf dessen Basis baute der Schweizer Autobauer Peter Monteverdi seine Luxus-Geländewagen «Monteverdi Safari» und «Monteverdi Sahara».

In den 1950er-Jahren unternahm IH einen heute ebenso skurril wie futuristisch anmutenden Anlauf, die Landwirtschaft zu elektrifizieren.

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In den 1950er-Jahren scheiterte IH grandios an der komplett elektrisch betriebenen Farm

Der «Electrall» Wechselstrom-Generator auf dem Traktor sollte Strom für alle möglichen Zusatzgeräte produzieren. So wurde unter anderem eine elektrische Ballenpresse angeboten.

Und wenn der Traktor nicht gebraucht wurde, konnte er den Strom für den Haushalt liefern. In den 1950er-Jahren waren noch lange nicht alle Farmen ans Stromnetz angeschlossen.

In den grossen Fusionswellen in der Landmaschinen-Branche der 1980er- und 1990er-Jahre kamen Case und International Harvester 1984 schliesslich zusammen. 1996 wurde der österreichische Traktorenbauer Steyr zugekauft. Und 1999 wurde mit Case New Holland die heutige CNH-Gruppe gegründet (siehe Kasten auf der vorherigen Seite). Auf Forderung europäischer Kartellbehörden mussten aber verschiedene Werke verkauft werden.

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Mit der amerikanischen DNA und der Entwicklung in Europa hat Case IH das Beste aus zwei Welten

Mit drei Traktorenmarken im Portfolio musste CNH auf der einen Seite schlanker werden und auf der andern die Kapazitäten bündeln.

Heute werden die mittelgrossen Case IH- und alle Steyr-Traktoren im österreichischen Werk in St. Valentin entwickelt und gebaut. Weil Case IH von den europäischen Landwirten mit Grösse, USA und Leistung assoziiert wird, unterscheiden sich die beiden Marken trotzdem, erklärt Patrik Busslinger, Vertriebsleiter im Case-Steyr-Center von Bucher in Niederwenigen.

Die grossen Traktoren Case IH Magnum und Case IH Quadtrac werden nach wie vor in Chicago und in Fargo, North Dakota produziert. Weil die Fahrer in den USA ihr halbes Berufsleben in der Kabine verbringen, sind diese grossen US-Traktoren unglaublich komfortabel. Das färbt auch auf die kleineren Traktoren ab, die in
Österreich gebaut werden.

Zudem kam in den USA schon früh das «Precision Farming» auf, bei dem die Felder mit minimalem Einsatz von Dünger und Chemikalien hoch präzise bearbeitet werden. Case IH hat deshalb sowohl für Traktoren wie auch für Mähdrescher Systeme, in deren GPS-Systemen und automatischen Spurführungen schon jahrzehntelange Erfahrung steckt.

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Busslinger betont, dass Case IH in der Schweiz kein Full-Liner ist. Zu den Traktoren gibt es also nicht das volle Programm an Maschinen. Das mache auf dem kleinen Markt der Schweiz keinen Sinn. Umso wichtiger sind Systeme wie Isobus sowie Data & Telematics, die es heute schon erlauben, dass die Maschine den Traktor steuert und Daten direkt übertragen werden können. Alle mit solchen Systemen ausgerüsteten Maschinen passen zu einem Case IH-Traktor.

Im Schweizer Markt sind für Case IH noch immer die Ursprünge des Konzerns wichtig, die Mähdrescher. Auch sie funktionieren GPS-gesteuert und könnten komplett autonom operieren. Allerdings erlaubt das der Gesetzgeber noch nicht.

Wichtig ist bei den Dreschern das Case IH eigene System des Axial-Dreschens, das eine sehr gute Korn-Qualität ergibt. Zudem gleichen die neueren Modelle mit einem schwenkbaren Sieb die Hangneigung aus. Und auch die Stroh-Qualität wurde in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Für die Schweiz wichtige Kriterien. «Wir sind überzeugt, dass Punkte wie Kornqualität, Produktivität und geringere Servicekosten die Axial-Flow-Mähdrescher in Zukunft auch in der Schweiz etablieren werden», sagt Patrik Busslinger.

Mit Traktoren und Mähdreschern sieht Patrik Busslinger die Marke Case IH deshalb sehr gut positioniert im Schweizer Markt. Produziert von einem Konzern aus Herzland Amerikas – aber durch die Entwicklung und Produktion in Österreich mit dem Know-how, der Präzision und dem Wissen um die europäische Kleinteiligkeit.

Case IH in der Schweiz
Das Case Steyr Center in Niederweningen, am Stammsitz der Bucher Landtechnik AG, ist Generalimporteur und Verkaufsorganisation für Case IH.
Die beliebtesten Traktoren von Case IH in der Schweiz sind der Luxxum und der Maxxum mit 100 bis 175 PS.
Bei der Anzahl verkaufter Traktoren liegt Case IH gemäss eigenen Angaben in der Schweiz auf Rang 6.
Das Case Steyr Center führt über 100 Case IH sowie Steyr Fachhändler und ist Generalimporteur
und Verkaufsorganisation für:
• Case IH Traktoren
• Case IH Erntemaschinen
• Steyr Traktoren
• Hydrac Frontanbausysteme www.case-steyr-center.ch

Landtechnik-Serie
Die Geschichte hinter den Traktoren und Geräten, die in der Schweizer Landwirtschaft gefahren werden.
Heft 01/2018: Fendt/GVS Agrar AG
Heft 02/2018: John Deere/Robert Aebi Landtechnik AG
Heft 03/2018: Claas/Serco Landtechnik AG
Heft 04/2018: Deutz-Fahr / SAME Deutz-Fahr Schweiz AG
Heft 05/2018: New Holland/New Holland Center Schweiz
Heft 06/2018: Kuhn
Heft 07/2018: Massey Ferguson
Heft 08/2018: Steyr/Case Steyr Center
Heft 09/2018: Same/SAME Deutz-Fahr Schweiz AG
Heft 10/2018: Joskin
Heft 11/2018: Lindner
Die nächste Folge:
Heft 01/2019: Rigitrac

Hinter CNH Industrial steht die Agnelli-Familie
CNH Industrial produziert zwölf bekannte Marken wie die Traktoren von Case IH, Steyr und New Holland sowie die Nutzfahrzeuge von Iveco, Iveco Bus und Magirus.
Die Abkürzung CNH steht für die Landtechnik-Marken Case und New Holland, der Begriff Industrial für die Lastwagen und Busse von Iveco.
Die Fusion von CNH Global und Fiat Industrial umfasste 2013 rund 70 00 Arbeitskräfte, 60 Fabriken und 50 Standorte für Forschung und Entwicklung.
Hinter CNH Industrial (24 Mrd Dollar Umsatz) steht die italienische Holding der Agnelli-Familie (Fiat).
www.cnhindustrial.com

kurz und bündig
Case IH gehört zum Landtechnik-Multi CNH der Agnelli-Familie (Fiat).
Case IH-Traktoren haben eine amerikanische DNA, wenn es um satellitengestütztes Säen und Ernten geht.
Die Case IH-Traktoren für Europa werden aber im österreichischen St. Valentin entwickelt und produziert.