Die «Ziege» ist in allen Schweizer Dialekten ein sprachlicher Fremdkörper, das schleckt keine Geiss weg. Bei uns redet man von der Geiss oder – wie auf dem Titelbild von unserem September-Heft 2022 im Appenzeller Dialekt – von der Gääss.

[IMG 2]Dass Landwirte nicht nur freundlich über die schnäderfrässigen Geissen reden, zeigt der alte Zürcher Spruch «Die Geissen sind ein Galge-Vieh!». In Finnland heisst es sogar: «Wenn du keine Sorgen hast, besorg dir eine Ziege!»

In unseren Bergtälern wusste das arme Volk die Geissen aber zu schätzen. So heisst es im Glarnerland «Geissen sind die ältesten Landlüt».

Ziegen sind genügsame und robuste Tiere. Nicht umsonst hiess es: «E Geiss und e Chind, beide chranken und gsunden gschwind.» Wenn dies einmal nicht der Fall war, wusste das Landvolk: «De arme Lüüt stärben d'Geisse und de riche Lüütstärben d'Chind.»

Die Ziege ist seit Jahrhunderten die Kuh des armen Mannes

Bis ins Spätmittelalter kam bei uns nur Ziegenmilch auf den Tisch. Erst ab dem 15. Jahrhundert trank man Kuhmilch – wenn man es sich denn leisten konnte. Die Ziege blieb die Kuh des armen Mannes.

Eine Geiss konnten sich die armen Bauernfamilien gerade noch leisten. Die gab ein bisschen Milch und nach dem Schlachten halt auch nur ein bisschen Fleisch: «En Chübel mit Fleisch git e Geiss, sei sie mager oder feiss.»

In den Wohnhäusern der Städter gab es dagegen meist genug zu essen. Auch wenn diese den Reichtum oft versteckten, «heimlifeiss wie ne Geiss».

Während den Weltkriegen haben aber selbst die Städter Ziegen gehalten. Einen Geissenpeter gab es dort nicht. Es würde mich interessieren, was die Geissen damals in den Gärten der Stadt gefressen haben und wie deren Milch respektive Fleisch schmeckten.

Jede Region hat ihre eigenen Lockrufe für die Ziegen

Wissenschaftliche Zeichnungen von Braunvieh, Simmentaler und Edelschwein.Schweizer Nutztierrassen-LexikonDie ersten von 38 Schweizer Rassen im Nutztier-Lexikon: Braunvieh, Simmentaler und EdelschweinFreitag, 22. Juli 2022 Interessant sind auch die Lockrufe für die Geissen: «Gitz!» oder «Girigitz!» oder «Gibi!». Im Münstertal GR ruft man «Sila! Sila!».

Und wenn ich mich richtig erinnere, habe ich früher in den Bündner Südtälern auch mal ein «Za! Za!» gehört. Vielleicht weiss jemand unter unseren LeserInnen, woher dieser Lockruf kommt?

Apropos Lockruf: Als ich nach der letzten Bergtour ziemlich verschwitzt im Zug sass, reklamierte ein Mann, dass ich stinke wie ein Geissbock. Ich antwortete: «Je mehr der Bock stinkt, desto mehr liebt ihn die Geiss.» Seine Frau fand das lustig ...

Schweizer Nutztierrassen-Lexikon

Aus der Vielfalt der in der Schweiz gezüchteten Nutztier-Rassen gelten heute 38 als Schweizer Rassen. 

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