Kurz & bündig
-Beerenproduktion und PV ergänzen sich ideal.
-Das neue Stromgesetz ist eine grosse Erleichterung.
-Einige Anlagen können Landwirte auch selbst bauen.
Heinz Schmid ist Unternehmer, Pionier und vor allem Bauer. Als er mit seiner Frau 1995 den Hof in Gelfingen am Baldeggersee im Kanton Luzern übernahm, war der Ausgangspunkt derselbe wie bei vielen landwirtschaftlichen Familienbetrieben in der Region: Unternehmertum mit Schweinehaltung als einer von mehreren Betriebszweigen.
Darin sah die Familie keine Zukunft. Schmid begann deshalb ab dem Jahr 1995 mit biologischen Pflanzenkulturen zu experimentieren. Erst wurde die Sprossenproduktion aufgebaut, seit 2000 baut er Heidelbeeren an, nun auch Himbeeren. Auch PV-Anlagen sind für ihn nichts Neues. Ab 2009 wurde die erste Dachfläche zu einem Solarkraftwerk, später alle Ökonomiegebäude. «Als 2015 der Franken zum Euro massiv stärker wurde, wurden die importierten Panels sofort viel billiger. Da deckte die Einmalvergütung ungefähr die Materialkosten. Aufs Dach montieren konnte man dann die Anlage mit der Hilfe von Freunden und Nachbarn. Als Bauer kam man so sehr kostengünstig zu einer Eigenverbrauchs-PV-Anlage.»
Damit lässt sich ein Grossteil der Maschinen auf dem Hof betreiben. Auch Schmids neuer Balkenmäher, ein Rapid Uri, läuft mit eigenem Strom.
Agri-PV für Nahrungsmittel und Stromerzeugung
Als alle Dächer voll waren, kam für Heinz und Monika Schmid und ihre fünf Kinder der logische Schritt, PV-Anlagen auch über Kulturland zu bauen. Beeren brauchen wie alle Kulturpflanzen Wasser und Licht, aber alles möglichst im richtigen Mass.
Dazu kommt in einer Gegend mit Tendenz zu Hagel ein solider Witterungsschutz. Moderne Beerenkulturen arbeiten deshalb mit unterschiedlichen Verschattungs-, Hagelschutz- und Regenabdeckungssystemen.
Die Systeme verhindern nicht nur, dass die Beeren zu heiss werden oder Sonnenbrand bekommen, wie Heinz Schmid erklärt, sie schützen auch vor Krankheiten und Schädlingsbefall. Das ist im Biolandbau entscheidend, weil man dank solcher Systeme viel weniger spritzen muss. Denn die Beeren der Familie Schmid landen hauptsächlich in den Bioregalen der Migros.
Da ist die Idee der Agri-PV nicht weit: PV-Anlagen auf landwirtschaftlichem Land mit einer Doppelnutzung von Nahrungsmittelproduktion und Stromerzeugung. In der Schweiz ist man sich oft noch nicht einig, wie diese Systeme künftig gebaut und reguliert werden sollen. Allerdings zeigen Erfahrungen aus der EU, dass sich damit die landwirtschaftlichen Erträge steigern lassen, die Anlagen zum Witterungsschutz beitragen können und sich positiv aufs Mikroklima von Feldern auswirken.
Das gilt insbesondere für intensiv bewirtschaftete Flächen wie Beerenkulturen; im Ausland auch für extensivere Formen der Landwirtschaft, etwa wenn die Flächen unter den Panels als Weiden genutzt werden. So verdunstet weniger Wasser, Böden trocknen weniger aus und Tiere liegen an heissen Tagen gerne im Schatten der Panels.
Es braucht einen Mehrwert und einen höheren Ertrag
In Deutschland gibt es bereits detaillierte Vorschriften. So hat die Landwirtschaft Priorität, eine Anlage darf den landwirtschaftlich nutzbaren Boden nur um maximal 10 Prozent reduzieren und zwei Drittel der Erträge eines Betriebs müssen nach wie vor aus der Landwirtschaft kommen. Die Situation in der Schweiz tendiert in eine ähnliche Richtung. Das Gesetz sieht hier aber keine Reduzierung des landwirtschaftlich genutzten Bodens vor und es muss ein Mehrwert und ein Mehrertrag bei der landwirtschaftlichen Produktion nachgewiesen werden.
Das am 9. Juni 2024 angenommene Stromgesetz für private Solarstromerzeuger bringt eine Mini-Liberalisierung des Strommarktes mit der Förderung von Zusammenschlüssen zum Eigenverbrauch (ZEV) und lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG). Bei LEG kann ein privater Erzeuger seine Abnehmer in der Nachbarschaft über das öffentliche Netz mit Strom versorgen.
Doch in vielen Fällen müssen die Erzeuger nach wie vor ihren Strom zu relativ tiefen Tarifen ins öffentliche Netz einspeisen. Zudem sind die Strompreise in der Schweiz tendenziell tiefer als in der EU. Die Arbeitskosten und damit ein Grossteil der Baukosten einer Agri-PV-Anlage sind aber deutlich höher.
All dies hat Heinz Schmid beachtet, als er seine Anlage «Agriverti» über den Himbeeren entwickelte. Sie ist auf Holzpfählen aufgebaut, wie die Hagel- und Sonnenschutzeinrichtungen der Beeren ohne PV-Anlage. «Das ist eine Anlage, welche die Bauern mit ihren Nachbarn gut allein bauen können. Oder zumindest sind sie in der Lage, bei der Arbeit mitzuhelfen. So kommen Landwirte zu günstigen Konditionen mit viel Eigenleistung zu einer Agri-PV-Anlage», erzählt er.
Die «Agriverti»-Anlage besteht aus bifazialen Panels, die auf beiden Seiten Strom erzeugen. Diese sind vertikal angeordnet, aber nicht in Süd-Ausrichtung, sondern in Ost-West-Ausrichtung. «Das ergibt insgesamt etwas weniger Stromertrag. Dafür haben wir ein sehr vorteilhaftes Produktionsprofil», erzählt er. Denn die Panels beginnen mit den ersten flachen Strahlen der Morgensonne mit der Stromproduktion und reduzieren die Leistung, je höher die Sonne am Himmel steht. Denn dann liefern alle anderen PV-Anlagen sehr viel und müssen unter Umständen sogar abgeschaltet werden. Gegen Abend, wenn die Sonne wieder niedriger steht, steigt der Ertrag wieder. Gleichzeitig ist es an sonnigen Tagen gegen 16 Uhr jeweils am heissesten zwischen den Himbeerstöcken. Das mögen die Beeren nicht. Doch genau um diese Zeit stehen sie dann im Schatten der Panels.
Drei verschiedene Anlagen und eine Kontrollgruppe
Heinz Schmid ist die Gemeinnützigkeit nicht nur bei seiner ersten Anlage, die Bauern gemeinsam selbst bauen können, wichtig. Er hält nichts von «geistigem Eigentum» und teilt seine Erkenntnisse mit anderen Bauern, mit Forschungseinrichtungen wie Agroscope oder der Berner Fachhochschule und mit Solar-Start-ups.
Mittlerweile stehen auf etwa der Hälfte seiner 1,5 Hektaren Pachtland mit Beerenkulturen Agri-PV-Anlagen. Zu jener auf den Holzpfählen sind zwei weitere dazugekommen. Alle tragen bifaziale Panels, die auf Vorder- und Rückseite Strom erzeugen und ein komplexeres Zusammenspiel von Beerenplantage und Stromerzeugung ermöglichen. An den Unterkonstruktionen für die Panels hängen Folien, welche die Beeren vor Frost, Sonne und Hitze schützen können und gleichzeitig mit ihrer silbrigen Oberfläche Licht auf die Rückseiten der Panels reflektieren. Die Schutzfolien werden computergesteuert geöffnet und geschlossen.
Solche Systeme könnten die weitverbreiteten Folientunnels ersetzen. Damit würden sie sowohl Strom erzeugen als auch die Abfallmenge reduzieren. Denn Folientunnels müssen regelmässig ersetzt werden. Dabei fallen gewaltige Mengen an Plastikmüll an. Eine dritte Anlage arbeitet ebenfalls mit bifazialen Panels, hat dazu aber noch bewegliche Panels, die sich nach dem Sonnenstand ausrichten lassen.
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Optimierung ausserhalb der Vegetationszeit
Die Arbeit im Beerenfeld beginnt im März. Heinz Schmid arbeitet mit speziellen Beerenstecklingen, sogenannten langen Ruten, die er von einem externen Produzenten bezieht. Ab Mitte April setzt er mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwa alle drei Wochen neue Pflanzen.
Es dauert acht bis zehn Wochen, bis die ersten Beeren reif sind und man dann während etwa sechs Wochen Beeren ablesen kann. Die Erntesaison dauert so dank der gestaffelten Pflanzung von Mitte Juni bis Ende September.
Landwirtschaft hat gegenüber der Stromproduktion Priorität. Doch von Anfang Oktober bis Ende Februar, wenn er nicht auf die Beeren Rücksicht nehmen muss, kann Heinz Schmid die Stromproduktion optimieren. In jener Zeit werden die reflektierenden Schutzfolien unter den bifazialen Panels so gezogen, dass sie maximal das Licht auf die Solarzellen reflektieren. Die beweglichen Panels führt Schmid möglichst präzise dem Sonnenstand nach.
Künftig werden die Budgetplanungen von Kraftwerksanlagen ähnlich aussehen wie jene von Skiliften und Bergbahnen: Geld werden sie praktisch nur noch im Winter verdienen. Im Sommer ist der Strom aufgrund der vielen PV-Anlagen praktisch wertlos. Die Agri-PV-Anlagen von Monika und Heinz Schmid müssen aber genau in der für die Stromproduktion rentabelsten Zeit keine Rücksicht mehr auf die Himbeeren nehmen.
Betriebsspiegel Bioschmid GmbH
Heinz und Monika Schmid, Gelfingen LU
LN: 11,5 ha
Kulturen: Sprossen (Hauptbetriebszweig), 1,7 ha Heidelbeeren, 1,5 ha Himbeeren, 1 ha Ackerbau, Wiesen, Weiden, Streuobst
Tierbestand: 10 Mutterkühe, 4 Freibergerpferde, 1 Pony, 1 Esel
Weitere Betriebszweige: Bildungsangebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
Schwesterfirma: Oberfeld Energie GmbH, Entwicklung und Betrieb EEA, PV-Beratung und Dienst-leistungen für die Landwirtschaft
Arbeitskräfte: Betriebsleiterpaar, 20 bis 50 Angestellte
www.bioschmid.ch
Stromversorgung für Gewerbebetriebe
Noch immer ein Problem für Agri-PV-Anlagen ist der Netzanschluss. Schon bei Hofanlagen mit sehr grossen PV-Anlagen ist das bisweilen schwierig, weil die Leistung der Anlage die Anschlussleitung überlasten könnte.
Bei Agri-PV-Anlagen bestehen dagegen in der Regel überhaupt keine Leitungen. Heinz Schmid hat deshalb auf eigene Kosten eine knapp hundert Meter lange Leitung zum nahegelegenen Industriegebiet in Aesch AG legen lassen. Kosten für die gesamte Erschliessung: rund 100 000 Franken. Ein Betrieb, der Elektronikbestandteile herstellt, würde den Strom auch sofort abnehmen.
Allerdings war Heinz Schmid mit der bisherigen Gesetzgebung an den Netzbetreiber gebunden. Dieser ist verpflichtet, Strom aus der PV-Anlage zu übernehmen. Der garantierte Einspeisepreis liegt aber gegenwärtig unter 10 Rp./kWh. Damit wären Schmids PV-Anlagen über den Himbeerstöcken auf Dauer unwirtschaftlich.
Doch dank des neuen Stromgesetzes kann Heinz Schmid nun im Rahmen einer LEG seinen Strom direkt an die benachbarten Betriebe verkaufen. Diese bezahlen ihm einen Tarif, der ungefähr bei jenem liegt, den auch der bisherige Stromversorger verlangt. Das macht seine PV-Anlagen auf einen Schlag sehr viel rentabler. Und das jahrelange Tüfteln und die Pionierarbeit würden sich nun endlich lohnen.