Kurz & bündig

  • Fleischersatzprodukte sind oft schlechter als ihr Ruf.
  • Studien gehen davon aus, dass diese Produkte trotzdem Marktanteile gewinnen.
  • Der grösste Zuwachs wird beim Fleisch aus dem Bioreaktor vermutet, sogenanntem Clean-Meat.
  • Ob Clean-Meat von den Konsumenten überhaupt akzeptiert wird, ist offen. Bislang ist noch keines auf dem Markt.

Weltweit tüfteln Lebensmittelingenieure an Fleischersatz-Produkten, ständig kommen neue Produkte auf den Markt. Aber wächst der Konsum auch mit?

Das weiss niemand so gut wie die beiden Grossverteiler. Die Migros schreibt: «Die klassischen Fleischersatzprodukte wie Nuggets, Burger und Schnitzel erfreuen sich grosser Beliebtheit. Seit 2019 sind Burger in «Roh-Optik», die sehr nah an Rindfleisch sind, sehr gefragt.» Umsatzzahlen gibt die Migros keine heraus, aber man erfährt, dass «Fleischersatzprodukt im Vergleich zu Fleisch weiterhin eine Nische sind.»

Bei Coop tönt es ähnlich positiv: «Wir haben über 30 vegane Fleisch- und Fisch-Alternativen in unserem Sortiment. Ein Dauerbrenner sind unsere veganen Burger Patties.» Mit dem Verkauf des Erbsenpoulets von «planted» seit Mitte Januar 2020 ist Coop ebenfalls zufrieden: «Die Planted-Produkte sind bei Coop erfolgreich gestartet und bei unseren Kundinnen und Kunden beliebt.» Doch die Auskunft zum Umsatz bleibt vage: «Die Nachfrage nach Fleischersatzprodukten ist steigend.»

Aber wird deswegen tatsächlich weniger Fleisch konsumiert? Regula Kennel, die Leiterin Unternehmensentwicklung von Proviande, antwortet auf diese Frage weder mit Ja noch mit Nein: «Diese Produkte sind alle noch nicht lange auf dem Markt. Bisher bewegt sich der Fleischabsatz im Rahmen der üblichen Schwankungen.» Ein klar sinkender Trend lasse sich derzeit jedenfalls nicht ausmachen.

Traumhafte Wachstumsraten – auf tiefem Niveau

Laut einer aktuellen Studie der UBS könnte sich das bald ändern: Sie prognostiziert für pflanzenbasiertes Fleisch PBM ( = plant-based meat) in den nächstens vier Jahren ein Wachstum von 30 Prozent.

Allerdings relativiert sich dieser Wert, wenn man das tiefe Ausgangsniveau berücksichtigt. Trotz der sensationellen Steigerungsrate würde pflanzenbasiertes Fleisch laut UBS im Jahr 2025 gerade mal 2,5 Prozent des gesamten Fleischmarktes decken.

Der Clou daran ist, dass dieser Zuwachs nicht zulasten der tierischen Produkte geht. Die UBS geht davon aus, dass der Umsatz mit echtem Fleisch im gleichen Zeitraum ebenfalls zunimmt, wenn auch nur um vergleichsweise tiefe 0,9 Prozent.

Mit dem Bevölkerungswachstum allein lässt sich das nicht erklären. Auch nicht damit, dass die Menschen künftig deutlich mehr essen.

Fleisch aus Pflanzen könnte einheimische Produkte verdrängen

Die Vermutung liegt nahe, dass PBM andere Produkte vom Teller verdrängt. Das dürften in erster Linie Bio-Produkte und heimische Produkte wie Schweizer Tofu, Schweizer Gemüse und andere vegetarischen Produkte aus der Schweiz sein.

Statistiken, die das belegen, gibt es nicht. Fest steht jedoch, dass bislang kein einziges Fleisch-Imitat das Label von Bio Suisse trägt und dass der Rohstoff für PBM-Produkte fast immer aus dem Ausland stammt.

Ohnehin ist bei den Fleischersatzprodukten nicht alles Gold, was glänzt. Daniel Heine ist Dozent für Lebensmitteltechnologie an der Berner Fachhochschule BFH. Er bestätigt: «Die meisten Fleischersatzprodukte enthalten Zusatzstoffe, künstliche Aromen, viel Zucker, Salz und Fett.» Produkte wie «planted.chicken», welche nur aus vier Zutaten bestehen, sind die Ausnahme.

Dass die Rohstoffe fast immer aus dem Ausland kommen, ist für Heine verständlich: «Es braucht eine gewisse Grösse, damit eine Anlage zur Gewinnung von Erbsenprotein oder Ähnlichem wirtschaftlich betrieben werden kann.» Die Wirtschaftlichkeit hängt auch stark von den anfallenden Nebenprodukten ab. Bei der Gewinnung von Erbsenprotein fällt mengenmässig genauso viel Stärke an, welche dann entweder gegen andere Stärken für Lebensmittelanwendungen (z. B. aus Kartoffeln, Mais und Weizen) konkurrenzieren muss oder «im schlimmsten Fall in umgewandelter Form als Bioethanol im Tank landet.»

An der BFH wird aktuell daran geforscht, mittels einfachem Fermentationsverfahren aus einem Nebenprodukt der Schweizer Tofuproduktion einen Fleischersatz herzustellen. Für Heine ist das ein Schritt in die richtige Richtung: «Damit käme man auch weg von den ressourcenintensiven Prozessen zur Gewinnung von Proteinisolaten.» Ausserdem wäre mit dieser Methode eine Bio-Zertifizierung möglich.

Bessere Marktchancen für den Fleischersatz aus dem Bioreaktor?

Während die UBS mit 2,5 Prozent PBM rechnet, geht die Unternehmensberatung A.T. Kearney in einer Studie von wesentlich grössere Marktchancen fürs Kunstfleisch aus. Bis 2040 soll sogar nur noch 40 Prozent der konsumierten «Fleisch»-Produkte von echten Tieren stammen. Sie glauben, dass PBM einen Marktanteil von 25 Prozent erreicht.

Noch mehr Marktchancen orten die Studienautoren allerdings beim Clean-Meat, dem Fleischersatz aus dem Bioreaktor. Er soll gemäss ihren Prognosen bald einmal 35 Prozent ausmachen. Das ist eine gewagte Prognose. Denn obwohl bereits 2013 ein erster Prototyp verkostet wurde, ist es bislang noch keinem Forscher weltweit gelungen, Laborfleisch zu marktfähigen Preisen herzustellen.

Fleisch mit Fleisch aus dem Labor zu ersetzen ist weniger abwegig, als es klingt. Denn die weltweite Nachfrage nach (tierischem) Protein steigt. Sie wird auf Dauer nicht gedeckt werden können, oder zumindest nicht nachhaltig. Regula Kennel von Proviande hat deshalb Verständnis für den Ansatz mit dem Bioreaktor: «Diese Industrie setzt auf die positiven Eigenschaften der tierischen Proteine, die es unbestritten gib.»

Deshalb investiert die Fleischindustrie weltweit in solche Biotechfirmen, auch Coop (Bell Food Group) und Migros (M-Industrie).

Laborfleisch ist deutlich weniger «clean», als es den Anschein hat

Ganz so «clean», also sauber, ist Clean-Meat aber auch nicht. Der deutsche Ernährungswissenschaftler Udo Pollmer bezeichnet Fleisch aus dem Labor sogar als unökologisch und riskant.

Pollmer stösst sich zum Beispiel an dem für die Herstellung benötigten Serum und schreibt plakativ: «Da stechen Mitarbeiter mit einer Hohlnadel durch die Rippen der tragenden Kuh direkt ins Herz des Fötus und saugen das Blut ab. Daraus gewinnen sie das begehrte Serum für die Herstellung von Hamburgern ohne Schlachtung. Pfui deibel!» Zellkulturen hält Pollmer für ineffizient: «Sie wollen nämlich genauso gefüttert werden wie eine Kuh. Im Gegensatz zum Rind brauchen sie dazu aber eine konzentrierte Nährlösung.»

Diese Nährlösung enthält (oftmals gentechnisch veränderte) Aminosäuren, Zucker, Spurenelemente, Schaumverhüter, Puffersysteme etc.. Für Pollmer ist klar: «Da ist ein Rind oder Schwein weitaus effizienter: Die verwerten billige Futtermittel, die sich nicht zum menschlichen Verzehr eignen, egal ob Lebensmittelabfälle oder Gras, Erdnussschalen, Stroh, Ölschrote oder Reste der Saftherstellung.»

Dass man beim Fleisch aus dem Labor auf Antibiotika verzichten könnte, ist für Pollmer nur eine «nette Fantasie». Im grosstechnischen Massstab sei sogar das Gegenteil zu erwarten: «In einem Speziallabor kann mit Reinst-Raumtechnik gearbeitet werden, aber nicht in einer grossen Fabrik. Stammzellen sind anfälliger und wehrloser als ein neugeborener Säugling.» Hygiene im Stall sei billiger zu haben: Tiere hätten schliesslich ein Immunsystem, das die allermeisten Erreger sang- und klanglos beseitigt. Pollmers Standpunkt ist pointiert.

Aber auch von Seiten der Umweltforscher weht dem anfänglich bejubelten Clean-Meat inzwischen ein rauer Wind entgegen. So wird zum Beispiel die Umweltbelastung zunehmend hinterfragt. Inzwischen sieht es sogar aus, als könnte der hohe Energiebedarf für die Produktion von Laborfleisch dem Klima deutlich mehr zusetzen als die Rindermast.

Die Frage ist jedoch, ob solche Kriterien für die Mehrheit der Konsumenten überhaupt eine Rolle spielen? Vermutlich nicht. Wenn das so wäre, hätten umwelt- und tierfreundlich hergestellte Produkte einen weitaus grösseren Marktanteil.

Für die Masse der Fleischesser zählen nach wie vor Geschmack – und der Preis. Letzterer ist bei Fleischersatz-Produkten noch immer hoch – und beim echten Fleisch deutlich zu tief.

 

 

Grosse Spannweite bei der Klimabelastung

Rindfleisch gilt weltweit als der grösste Klimasünder. Warum das so ist, hat «die grüne» im Beitrag «Kühe sind keine Klimakiller» analysiert. Die Klimabelastung eines jeden Produktes beruht auf zahlreichen Annahmen, sie ist zudem stark von der Produktionsweise abhängig, die Unterschiede innerhalb einer Produktart sind riesig. Das gilt auch für Fleischersatz aus Pflanzen oder das Fleisch aus dem Bioreaktor: Je nach Produktionsweise und Energiequelle können sie das Klima sogar mehr belasten als gewöhnliches Pouletfleisch.