Wenige Wochen vor den Präsidentschaftswahlen in den USA am 3. November 2020 zeigt sich: Weil der Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China die US-Farmer besonders hart trifft – viele Farmer-Familien kämpfen ums nackte Überleben – wollen sie Donald Trump nicht wieder wählen. Eine Spurensuche in den Agrar-Staaten Texas (696'000 Quadratkilometer Fläche, 28 Mio. Einwohner) und Iowa (146'000 Quadratkilometer Fläche, 3,2 Mio. Einwohner).

«Ich habe Donald Trump 2016 mit Überzeugung als US-Präsident gewählt», erklärt Ben Baker auf seiner Farm ausserhalb von Austin (Texas).

Ben ist einer von rund 2 Millionen US-Farmern. Sie produzieren vor allem Mais und Soja, Milchprodukte und Rindfleisch. Und das meiste davon produziert die US-Landwirtschaft im Überfluss.

Die US-Landwirtschaft produziert im Überfluss

Jedes Jahr steigen die Ernte-Erträge der US-Farmer bis 3 Prozent. Jährliche Steigerungen bis 4 Prozent erzielt auch die US-Fleischwirtschaft, 2018 stellte sie mit 47 Mio Tonnen Fleisch sogar einen neuen Produktionsrekord auf.

Die Überproduktion drückt gnadenlos auf den Preis. Der Überschuss wird exportiert, vor allem nach Europa und nach China. Die US-Landwirtschaft hat damit erreicht, was Präsident Donald Trump zum Ziel für die ganze US-Volkswirtschaft erklärt hat: Handelsüberschüsse.

Vor seiner Wahl und auch danach schwor Trump den US-Farmern: «Ich werde meine Wirtschaftserfahrungen und meine harten Verhandlungsstrategien einsetzen, um den Handelspraktiken von China ein Ende zu setzen, die den US-Farmern schaden.»

Die Verlierer im Handelskrieg mit China sind die US-Farmer

Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt: Durch den Handelskrieg mit China (bei dem es um die Erhöhung der Importzölle vor allem auf chinesischen Stahl und Aluminium geht) sind die US-Agrarexporte von 19 Mrd um 53 Prozent auf 9 Mrd Dollar zusammengebrochen. Besonders hart getroffen wurden Sojabohnen, das stärkste Agrar-Exportgut der USA.

Sojabohnen aus Iowa zum Beispiel. Dieser US-Bundesstaat lebt von der Landwirtschaft. Neben Soja werden Mais, Schweine- und Rindfleisch sowie Milchprodukte für die halbe USA und den Export produziert. In Waterloo (Iowa) wurde 1892 der Traktor erfunden – bis heute laufen die grünen Traktoren mit den gelben Felgen dort vom Band. Und wenn es den US-Farmern schlecht geht, fährt auch John Deere die Förderbänder herunter.

Viele Farmer sind zwar Millionäre, aber nur auf dem Papier. Ihr Kapital steckt in der Erde, die sie beackern. Um in einen neuen Traktor zu investieren, beleihen sie ihr Land.

Das operative Geschäft ist meist «auf Kante genäht», wie es so schön heisst: Im Frühjahr nehmen die Farmer Kredite auf, die sie nach der Ernte im Herbst zurückzahlen. Und jetzt verdienen sie weniger Geld, als sie sich geliehen haben. Die Verschuldung der US-Farmer wird 2020 den Rekordwert von 434 Mrd Dollar erreichen.

«Wir haben genug von Trump», erklärt denn auch die Vize-Gouverneurin und Landwirtschaftsministerin des Bundesstaates Iowa, Patty Judge. Ohne Plan und Rückzugsstrategie in einen Handelskrieg mit China zu ziehen, sei gefährlich und falsch gewesen, sagt Patty Judge, die selbst eine Rinderfarm besitzt.

Die US-Farmer erhalten von Trump die höchsten direkten Ausgleichszahlungen aller Zeiten

Tatsächlich ist das Vertrauen der US-Farmer in Präsident Trump in den letzten sechs Monaten von 90 Prozent auf 71 Prozent gesunken. Wenn Präsident Trump aber die Stimmen der Farmer und der ländlichen Bevölkerung verliert, wird er am 3. November 2020 auch die Wiederwahl verlieren.

In Texas steht es zwischen Trump und seinem Herausforderer Biden derzeit (Stand: 1. Oktober 2020) nur noch 49:46 (5 Andere). Und in Iowa steht es sogar 48:46 für Biden (6 Andere).

Gegen die katastrophale Landwirtschaftspolitik von Präsident Trump kämpft eine nationale Kampagne unter dem Namen «Rural America 2020». Gemeinsam wolle man den Handelskrieg von Trump angehen, das Versagen der Trump-Regierung in den ländlichen Regionen bekannt machen und nach politischen Lösungen suchen für ein stärkeres ländliches Amerika.

Deshalb überschüttete Trump die US-Farmer mit den höchsten direkten Ausgleichszahlungen aller Zeiten, über 51 Mrd Dollar alleine 2020. Vor Trump waren es 10 bis 13 Mrd Dollar pro Jahr. Jetzt kommen 36 Prozent des landwirtschaftlichen Einkommens von der Regierung, was am Selbstbewusstsein der US-Farmer nagt und das Problem nicht löst.

Die Zahl der Farm-Konkurse steigt jeden Monat. Und praktisch jeder Farmer hat mittlerweile Nachbarfamilien, die von einem Suizid betroffen sind. Sie bezahlen den hohen Preis für die Fehler der Trump-Regierung.

«Ich wähle weder Republikaner noch Demokraten», erklärt der Farmer Ben Baker in Texas heute. «Ich wähle den Kandidaten, der sich für uns Farmer einsetzt – und das wird 2020 nicht Donald Trump sein.»

Noch deutlicher formuliert es ein Soja-Farmer in Iowa:«Wenn der Preis für Sojabohnen bei mindestens sechs Dollar liegt, wähle ich Präsident Trump. Sonst den Herausforderer Biden.»

 

Die US-Landwirtschaft in Zahlen

  • 16 Prozent der Fläche der USA werden für Landwirtschaft genutzt (Schweiz: 36 Prozent).
  • Mit 186 Mio ha LN ist die USA der grösste Agrarproduzent der Welt (Schweiz: 1 Mio ha).
  • 2 Mio Farmen zählt die USA (Schweiz: 51'000 Betriebe).
  • US-Farmen sind durchschnittlich 180 ha gross (Schweiz: 20 ha).
  • Aber nur 10 Prozent Gross-Farmen produzieren 80 Prozent aller Lebensmittel.
  • Über 50 Prozent der US-Farmer sind Nebenerwerbs-Landwirte (Schweiz: 29 Prozent), mit durchschnittlich 60 Jahren auch stark überaltert (Schweiz: ca. 50 Jahre

 

 

Der Alltag der US-Farmer bestimmte 1845, wann der Präsident gewählt wird

Das US-amerikanische Wahlsystem wurde 1845 mit Rücksicht auf die Farmer festgelegt, die damals mit den Pferdekutschen oft eine Tagesreise bis zum nächsten Wahllokal unterwegs waren. Wahltag ist deshalb im November, wenn die Ernte eingefahren ist. Und zwar der Dienstag nach dem ersten Montag im November.

Denn der Freitag war Vorbereitungstag für den Markttag am Samstag, diese beiden Tage fielen also aus. Am Sonntag war der Kirchgang und den Montag brauchten die Farmer für die Reise in die Stadt zum Wahllokal.

Heute können die Wähler in vielen Bundesstaaten ihre Stimme bis zu einem Monat vor dem Wahltag abgeben. Zudem ist die Briefwahl möglich. Allerdings haben die Republikaner hohe Hürden aufgebaut, damit potenziell demokratische Wähler (aus der Arbeiterklasse) zum Beispiel nur mit einem Arztzeugnis brieflich wählen dürfen. Und welche arme Verkäuferin kann es sich leisten, dafür zum Arzt zu gehen.

Da es in den USA kein Einwohneramt und damit keine Meldepflicht gibt, muss man sich als Wähler zuerst in seinem Wohnort registrieren lassen.

Am 3. November 2020 wählen die Bürger nicht direkt den Präsidenten, sondern die Wahlmänner ihres Bundesstaates (das «electoral college»). Dabei gilt «the winner takes it all» – mit der relativen Mehrheit der Wählerstimmen bekommt ein Kandidat alle (!) Wahlmänner des Bundesstaates zugesprochen.

Das Wahlmänner-System kann das Resultat einer Wahl auf den Kopf stellen: 2016 erhielt Hillary Clinton insgesamt 2,9 Mio Stimmen mehr als Trump, aber nur 232 von 538 Wahlmännern. Trump bekam 306 Wahlmänner, weil er in einer Handvoll Bundesstaaten einige Tausend Stimmen mehr – und dort alle Wahlmänner zugesprochen erhielt.

Am 14. Dezember 2020 kommen die Wahlmänner in der Hauptstadt jedes Bundesstaates zusammen und bestimmen – «the winner takes it all» – den Kandidaten ihres Bundesstaates.

Am 6. Januar 2021 – der erste Sitzungstag des auch am 3. November 2020 neu gewählten Parlaments in der US-Hauptstadt Washington – werden die Wahlmänner ausgezählt. Zum Beispiel 38 für Texas mit seinen 28 Mio Einwohnern und 6 für Iowa mit 3 Mio Einwohnern (siehe Haupttext), insgesamt 538 Wahlmänner. Präsident wird der Kandidat mit der absoluten Mehrheit der Stimmen (die Hälfte der Stimmen plus eine).

Am 20. Januar 2021 wird der bisherige oder neue Präsident in Washington vereidigt.

Interessantes Detail: Seit 1952 kommen – mit Ausnahme von John F. Kennedy, Barack Obama und Donald Trump – alle Präsidenten aus dem Bundesstaat Kalifornien oder aus Südstaaten wie zum Beispiel Texas.

Weil das US-Wahlsystem schon kompliziert genug ist, haben wir bei Personenbezeichnungen die männliche Form gewählt. Es ist jedoch immer die weibliche Form mitgemeint.