Kurz & bündig
- Bisher ist es nicht gelungen, eine Lobby für den Boden aufzubauen.
- In der Politik werden qualitativer und quantitativer Bodenschutz nicht zusammen gedacht.
- Ein vergangenes Ressourcenprojekt zeigt, wie schonende Verfahren wirksam gefördert werden könnten.

Wer sich in der Schweiz Gehör verschaffen will, braucht eine starke politische Vertretung. Die viel diskutierte «Bauernlobby» im Parlament sorgt dafür, dass die Anliegen des Schweizer Bauernverbands (SBV) im National- und Ständerat gute Chancen haben, gehört zu werden. Während der SBV sich für diverse Themen einsetzt, hat Swiss No-Till, die Gesellschaft für eine bodenschonende Landwirtschaft, klar den Boden im Blick. Sie will ihn als wichtigste Grundlage für Produktion und Umwelt auch politisch ins Zentrum rücken.

No-Till versteht sich dabei in erster Linie als landesweite Diskussions- und Wissensplattform zur Konservierenden Landwirtschaft. «Wir versuchen seit 30 Jahren, eine Lobby für den Boden aufzubauen», sagt Wolfgang Sturny. Der Agronom ist Gründungs- und Vorstandsmitglied bei Swiss No-Till, hat als Leiter die Fachstelle Bodenschutz des Kantons Bern weiterentwickelt und ist international im Bereich der Konservierenden Landwirtschaft vernetzt. Bisher sei es nicht gelungen, eine Bodenlobby zu schaffen, bedauert Sturny.[IMG 2]

Politikergruppen für alles Mögliche in Bundesbern

Eine Möglichkeit dafür wäre eine parlamentarische Gruppe Boden. «Es gibt im Parlament Gruppen für alles Mögliche», erklärt der Agronom. Gemäss der öffentlichen Liste der Parlamentsdienste reichen deren Themen von Altersfragen über Biodiversität und Brot/Confiserie, Bundeshaus-Band (fürs überparteiliche Singen und Musizieren) bis zu Detailhandel und Zivildienst. Bekannt ist der «landwirtschaftliche Klub der Bundesversammlung», eine parlamentarische Gruppe mit 100 Mitgliedern, deren Sekretariat der SBV führt.

[IMG 3]Diese Gruppen funktionierten so, dass interessierte PolitikerInnen während der Sessionszeit durch Fachvorträge für ein gewisses Thema – z. B. den Boden – sensibilisiert werden. «Die Gruppe wird aktiv, sobald etwas für ihren Bereich Relevantes debattiert wird, und zieht gezielt Fachleute bei», so Wolfgang Sturny.

Angesichts der Vielzahl von Faktoren, die den Boden beeinflussen, müsste sich eine parlamentarische Gruppe Boden – würde sie zustande kommen – von der Raumplanung über landwirtschaftliche Rahmenbedingungen bis hin zum Klimaschutz mit einer grossen Anzahl von Themenfeldern beschäftigen. Doch trotz gewissem Interesse im Bundeshaus an der Neugründung kam eine Bodengruppe bisher nicht zustande.

Umsetzung bleibt «unsystematisch und punktuell»

Was Swiss No-Till in der Politik vermisst, ist eine sinnvoll bemessene Unterstützung für den Schutz des Bodens durch die LandwirtInnen. Mit den beiden Produktionssystembeiträgen für angemessene Bodenbedeckung und schonende Bodenbearbeitung gibt es zwar entsprechende Förderungen, deren Höhe sei aber bei Weitem nicht ausreichend. «So bleibt die Umsetzung in der Praxis unsystematisch und punktuell», beobachtet Wolfgang Sturny. Die Konservierende Landwirtschaft ist aber Fachleuten zufolge in der meist über fünfjährigen Umstellungsphase mit Mehraufwand und -kosten verbunden. Erst dann gilt das schonende Anbausystem mit intakten Bodenfunktionen als etabliert und das Direktsaatverfahren könnte konsequent zum Einsatz kommen.

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Wie es anders geht und welche Wirkung das haben kann, zeigt das Ressourcenprojekt «Förderprogramm Boden» des Kantons Bern, das von 2009 bis 2015 umgesetzt worden ist. Rund 54 Millionen Franken von Bund, Kanton und Trägerschaft flossen, um elf Massnahmen in drei Bereichen zu fördern: bodenschonende Anbausysteme (unter anderen Direktsaat); Bodenaufbau und Kulturmassnahmen; ammoniakreduzierende Ausbringsysteme.

Zu den Projektzielen gehörten Bodenschonung und Stickstoffeffizienz sowie Weiterbildungen für die BetriebsleiterInnen. «Nach sechs Jahren sahen die LandwirtInnen den Unterschied in ihren Böden; die vielen positiven Effekte der Konservierenden Landwirtschaft wurden sichtbar», erinnert sich Wolfgang Sturny. «Heute scheint es, als wären wir unserer Zeit voraus gewesen.» Denn in einem nachfolgenden Pflanzenschutzprojekt gab es Beiträge für den Pflugeinsatz. Somit wurde der Grossteil der vielen erfolgreich umgestellten Direktsaatböden auf einen Schlag wendend bearbeitet, was die Ackerkrume gestört habe.

Das System ist nicht perfekt und soll besser werden

[IMG 5]Diese Geschichte steht exemplarisch einerseits für das Hüst und Hott in der Schweizer Agrarpolitik und andererseits für einen der wichtigsten Kritikpunkte an Direktsaatsystemen. Denn auch heute beruhen sie in der Regel auf dem gezielten Einsatz von Totalherbiziden, um auf wendende Bodenbearbeitung verzichten zu können. «Dieses Argument ist nicht massgeblich – korrekt eingesetzt können Totalherbizide weitere Herbizide hinfällig machen. Zusätzlich überwiegen die Vorteile verglichen mit einer Bodenbearbeitung», ist Wolfgang Sturny überzeugt.

Für Swiss No-Till ist klar, dass das System nicht perfekt ist. Umso mehr treibt Swiss No-Till Alternativen zum Chemieeinsatz wie Staffelkulturen, abfrierende Gründüngungsmischungen oder Hauptkulturen mit Begleitpflanzen voran. Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels und der neusten Forschung dazu, wie heiss unbedeckte Ackerböden im Sommer tatsächlich werden, intensiviert No-Till aber die Bemühungen, die Konservierende Landwirtschaft bekannter zu machen. Gleichzeitig seien die Verbesserung und Weiterentwicklung der Verfahren ein wichtiges Anliegen, wofür man gerne auch von Praktikern aus dem Ausland lernt.

Hoffnung kommt von ausserhalb der Politik

AboLisa Casarico ist Fachverantwortliche Boden beim Schweizer Bauernverband.Wertvolle Böden schützen«Das Bewusstsein für den Boden steigt», stellt der SBV festSonntag, 28. April 2024 In der Politik in Bundesbern sei das Thema Bodenschutz der starken landwirtschaftlichen Vertretung zum Trotz noch nicht angekommen, resümiert Wolfgang Sturny. Und auch in der Bildung werde die Konservierende Landwirtschaft stiefmütterlich behandelt, obwohl sie mit zunehmenden Wetterextremen immer vorteilhafter sein könne.

Hoffnung gibt dem Agronomen, dass sich mittlerweile abseits der Politik etwas tut. «Wir bekommen immer mehr Anfragen, von LandwirtInnen, aber auch z. B. vom WWF.» Der Umweltverband habe Interesse an einer Zusammenarbeit, um der Bevölkerung Gründüngungen als vielfältigen Lebensraum zur Förderung der Bio-diversität vorzustellen. Ein weiteres Beispiel ist das Waadtländer Projekt Agro Impact, das unter anderem Mass-nahmen zur Verbesserung von Bodenfruchtbarkeit und -robustheit sowie für die Kohlenstoffspeicherung fördert und Swiss No-Till um Beratung angefragt habe.

Nicht zuletzt sei auch die Abnehmerseite aktiv, so Sturny. «Nestlé z. B. forciert die Regenerative Landwirtschaft international, um die Liefermengen zu sichern und bis 2050 klimaneutral zu werden», sagt er. Auch in der Schweiz wird der Einfluss klimatischer Veränderungen auf die landwirtschaftliche Produktion immer deutlicher und Lösungen sind gefragt, um die Erträge zu sichern.

Denn Wissenschaftlern zufolge ist es angesichts des schleppend anlaufenden Klimaschutzes gut möglich, dass Extremjahre wie 2003 hierzulande in Zukunft zur Norm werden – was Ausreisser mit noch intensiverer Trockenheit und Hitze ebenso mit einschliesst wie kältere und feuchtere Witterung im Winter.

Zusammen mit LandwirtInnen weiterentwickeln

Swiss No-Till ist es nach eigenen Angaben bei ihren Aktivitäten ein Anliegen, nicht sektiererisch aufzutreten. Vielmehr wolle man das System der Konservierenden Landwirtschaft zusammen mit den Schweizer LandwirtInnen weiterentwickeln, die vermehrt unter finanziellen Druck geraten. «Das Aufbauen einer intakten Funktionsweise landwirtschaftlicher Böden haben die Entscheidungsträger nicht begriffen», meint Wolfgang Sturny. Erst der konsequente, langjährige Verzicht auf Bodenbearbeitung beeinflusse die Bodenstruktur und den Wasserhaushalt positiv, ebenso die biologische Aktivität samt dauernder Durchwurzelung und Bodenbedeckung – «dies mit all den positiven Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion und die Umwelt, letztlich auch auf unser Klima.»

Bodenpolitik zwischen zwei Polen: Qualitativer und quantitativer Schutz

Theoretisch herrscht darüber Einigkeit, dass qualitativer und quantitativer Bodenschutz zusammen gedacht und umgesetzt werden sollten. Dies ist nämlich sowohl das Fazit eines 2017 abgeschlossenen Nationalen Forschungsprojekts zur Bodenpolitik (NFP68) als auch der Schweizer Bodenstrategie. Tatsächlich klaffen diese beiden bodenpolitischen Pole aber weit auseinander und als Folge davon spielt die Qualität des Bodens beim Entscheid über das Verbauen einer Fläche kaum eine Rolle.

Ein dehnbarer Begriff
«Politisch und rechtlich ist es sehr schwierig, quantitativen und qualitativen Bodenschutz zu verbinden», meint Christine Badertscher. Die Berner Grünen-Nationalrätin war als Ver-treterin des Schweizer Bauernverbands (SBV) am NFP68 beteiligt. Auch werde der Begriff der geschützten Fruchtfolgeflächen (FFF) in der politischen Praxis ihrer Erfahrung nach manchmal etwas breiter ausgelegt. Die Agronomin gibt weiter zu bedenken, dass Ausbauprojekte der Infrastruktur – z. B. Autobahnen – als öffentliches Interesse in der Regel höher gewichtet würden als der Bodenschutz.

Bodenkartierung läuft
Für den qualitativen Bodenschutz fehlt es an Daten. Diese soll die langsam anlaufende, schweizweite Kartierung der Böden liefern. Das Konzept für deren Durchführung liegt vor und es geht an die Umsetzung.
LandwirtInnen dürften den Wert des Bodens als ihre Produktionsgrundlage kennen – auch wenn bei der Frage nach der schonendsten Bewirtschaftungsweise die Meinungen geteilt sind. «Die Bevölkerung zu sensibilisieren, ist aber nicht einfach», hält Beatrice Kulli fest, die als Forscherin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und in der Bodenkundlichen Gesellschaft Schweiz (BGS) aktiv ist.

Ein neuer Versuch
Um zumindest PolitikerInnen besser über den Boden und dessen Schutz zu informieren, hat auch Christine Badertscher vor Jahren versucht, eine parlamentarische Gruppe aufzuziehen. «Das hat aus Zeitgründen nicht geklappt», sagt sie. Die Agronomin kann sich aber vorstellen, einen neuen Versuch zu starten.