AboNaturschutzDie Schweiz verliert in Sachen Biodiversität den Anschluss an die EUFreitag, 10. November 2023 «Obwohl es hierzulande dringender wäre als in der EU, geht es in der Schweiz eher bedächtig vorwärts», kritisiert Suzanne Oberer, Präsidentin von Birdlife Schweiz. Auch wenn unser Land reich sei, in puncto Biodiversität sei es buchstäblich arm dran. «Wir brauchen endlich eine wirkungsvolle ökologische Infrastruktur», so Oberer. Mit diesen Worten eröffnete sie die diesjährige Naturschutztagung, an der zwei Referenten aus dem Ausland erklärten, wie andernorts bei der Wiederherstellung von wertvollen Lebensräumen vorgegangen wird.

Gute Werbung

Ein Vorzeigeprojekt des deutschen Naturschutzbundes (Nabu) ist die Renaturierung der Unteren Havel. Dafür werden seit 2010 90 Flusskilometer z. B. mit der Pflanzung von Auenwäldern oder dem Entfernen von Uferbefestigungen renaturiert. Neben Eigenmitteln nutzt der Nabu dafür auch die Finanzen der deutschen Regierung. In der Regel seien Fördergelder allerdings rar. Aber Unternehmen seien daran interessiert, Naturschutzprojekte zu unterstützen, führte Konstantin Kreiser vom Nabu aus. «Sie suchen händeringend nach solchen Projekten», so seine Erfahrung. Schliesslich mache sich solches Engagement gut im Geschäftsbericht und es lässt sich damit Werbung machen.

«Sie suchen händeringend nach Projekten.»

Konstantin Kreiser, Nabu, über ökologisches Engagement von Unternehmen.

«Naturjuwelen für die ganze Schweiz»Birdlife Schweiz realisiert 150 NaturschutzprojekteDonnerstag, 16. November 2023 Seit mehr als 10 Jahren kooperiert der Nabu schon erfolgreich mit Rewe. Das Unternehmen betreibt mehrere Detailhandels-Ketten in Deutschland und hat gemeinsam mit dem Nabu einen Klimafonds gegründet. «Die Natur ist die beste Verbündete gegen die Folgen des Klimawandels», erklärt Kreiser den Zusammenhang zwischen Biodiversität und Klima. Zu den gemeinsamen Projekten gehören die Förderung der Biodiversität im Obst- und Gemüsebau oder der Bio-Landwirtschaft. 2018 wurde mit der Aktion «Stummer Frühling» auf die Folgen eines drohenden Insektensterbens aufmerksam gemacht: In einer Penny-Ladenfiliale wurden kurzerhand 60 Prozent des Sortiments aus den Regalen entfernt.

Mit Gemeinden arbeiten

Simone Schneider ist Geschäftsleitungsmitglied von Sicona und arbeitet für Renaturierungen nicht mit dem Detailhandel, sondern stark mit Gemeinden zusammen. Sicona ist eine in Luxemburg tätige Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich für die Aufwertung von Grünland einsetzt. «90 Prozent der Gemeinden in Luxemburg sind in eine unserer sechs biologischen Stationen eingebunden», so Schneider. Sie beteiligen sich an der Finanzierung für die Wiederherstellung von artenreichem Grünland, zu der auch Bundesgelder und ein Fonds beitragen. Die Massnahmen – vor allem Direktbegrünungen, um diverse Arten auf verarmte Flächen zurückzubringen – plant Sicona und führt sie mit eigenem Maschinenpark auch selbst aus. Die anschliessende Pflege (Unkrautbekämpfung) und das Monitoring werden ebenfalls übernommen. Viele Projekte führt Sicona gemeinsam mit Landwirten oder Privateigentümern durch, die Basis bilden z. B. Pacht- oder Bewirtschaftungsverträge im Rahmen staatlicher Biodiversitätsprogramme. Eine wichtige Tätigkeit der NGO ist ausserdem die Öffentlichkeitsarbeit.

Mächtige Verbündete

«Die Wirtschaft ist weiter als die Politik», sagte Birdlife-Geschäftsführer Raffael Ayé in der anschliessenden Podiumsdiskussion. Er verwies auf Nestlé, die sich politisch für den Naturschutz stark mache. Konzerne seien für den Naturschutz zwar nicht die gewohnten, aber mächtige Verbündete: Denn mit diesen Absendern würden Botschaften in Sachen Biodiversität von anderen Politikern gehört, etwa aus den Reihen der SVP, FDP oder der Mitte. «Das ist etwas anderes, als wenn es wieder die Umweltallianz ist», so Ayé.

Konstantin Kreiser gab zu bedenken, dass Unternehmen mit zunehmendem freiwilligem Engagement bald verbindliche Regeln für alle von der Politik verlangen würden, um nicht gegenüber ihrer Konkurrenz einen Wettbewerbsnachteil zu bekommen. «Ja, wir wollen, wir müssen», schlussfolgerte Raffael Ayé zur Kooperation des Naturschutzes mit der Wirtschaft.