Markierung mit gelben Band soll Passanten einladen, Obst abzulesen (Bild Esslinger Zeitung) ObstbauGelbes Band am Obstbaum heisst: Hier dürfen alle erntenMittwoch, 10. Juni 2020Auf einem abgeernteten Kartoffelacker kann man nicht selten beobachten, wie Personen mit Säcken die Knollen einsammeln, die vom Vollernter übriggelassen bzw. aussortiert worden sind. Das Bild bietet sich auch beispielsweise nach der Bohnenernte. Ohne Einwilligung des betroffenen Landwirts – sei es mündlich oder z. B. mit einem entsprechenden Hinweisschild – ist das prinzipiell nicht erlaubt.

Die Früchte gehören dem Grundeigentümer

Wie Rechtsexpertin Gabriela Baumgartner gegenüber dem SRF-«Kassensturz» erklärt, gilt grundsätzlich: Ackerfrüchte oder Obst gehören dem Grundbesitzer – unabhängig davon, ob die Parzelle eingezäunt ist oder nicht. Selbst wenn der Apfel auf einen Weg rollt, bleibt er Eigentum des Bauern, dem der Baum bzw. die Fläche der Plantage gehört. Und das Argument, dass die restlichen Kartoffeln nur untergepflügt würden, das doch schade und eine Verwendung in der Küche besser wäre, hat rechtlich auch kein Gewicht. Theoretisch möglich wäre laut Baumgartner eine Strafe in Form einer Busse.

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Betretungsverbot, wenn Kulturschäden drohen

Das Sammeln von wildwachsenden Früchten, Pilzen oder Beeren in Wald und auf Weiden ist gemäss Zivilgesetzbuch im «ortsüblichen Umfang» erlaubt. Wälder und Weiden dürfen also betreten werden. Hingegen gilt für Wiesen und Äcker ein Betretungsverbot, wenn ein «schutzwürdiges Interesse angezeigt ist», wie es in einer Fachinformation des St. Galler Bauernverbands heisst.

Wenn Schäden an der Kultur ausgeschlossen werden können – z. B. ausserhalb der Vegetationszeit, wenn Schnee liegt oder der Boden gefroren ist – könne man dieses Verbot aber nicht geltend machen. Ein winterlicher Spaziergang querfeldein ist also zulässig, prinzipiell aber auch das alleinige Betreten eines Feldes (ohne Einsammeln der Früchte) nach Abschluss der Ernte. Weiter könne man die Rechtslage so auslegen, dass während der Vegetationszeit vom 15. März bis 15. November nur frisch gemähte Wiesen zugänglich sind. Wo das Gras höher steht, haben theoretisch weder Spaziergänger noch Hunde ein Recht auf Zutritt.

Kein altes Recht

Bisweilen hört man, die Nachernte sei historisches Recht. Im Auftrag der Rheintal Medien hat der Rechtsanwalt Werner Ritter erfolglos in alten bis mittelalterlichen Schriften nach Dergleichen gesucht. Da Feldfrüchte früher für die Eigentümer überlebenswichtig gewesen seien, sei ausserdem nicht von viel Übriggelassenem oder einem generellen Recht auf Nachernte auszugehen.

«Bauernfamilien sind sehr enttäuscht»

Auch heute sind landwirtschaftliche Kulturen die Einkommensgrundlage der Bäuerinnen und Bauern. Gegenüber den Rheintaler Medien betonte Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands denn auch, unerlaubtes Mitnehmen von Produkten auf den Feldern enttäusche Bauernfamilien sehr. «Ein solches Verhalten hätte niemand gerne auf seinem Grundstück», so Ritter. Ausserdem rief er den kleinen Anteil der Lebensmittelkosten am durchschnittlichen Einkommen in der Schweiz in Erinnerung.

Schlussendlich ist ein vom Boden aufgehobener Apfel auch eine Frucht weniger, die im Hofladen gekauft wird. Und wenn «Gerettetes» die geernteten Produkte konkurrenziert, beginnt das Dilemma von «Food-Save».