Die grossen, gezähnten Blätter des Geweihfarns spriessen aus einem rundlichen, braunen Ballen, der sich an einer bemoosten Wand festzukrallen scheint. Darum herum, von oben bis unten: tropische Pflanzenvielfalt. Orchideen, Ameisenpflanzen, Bärlappgewächse, Kannenpflanzen, Wachsblumen-Arten und Farnwedel leuchten in unterschiedlichen Grüntönen. Die Szenerie spielt nicht in einer südostasiatischen Schlucht, sondern im Vivarium des Tierparks Bern.

[IMG 2]

Herr dieses Dschungels ist heute Andreas Hofer, seit 13 Jahren im Tierpark Bern tätig. Der Revierleiter des Vivariums schmunzelt und sagt: «Mein Ziel ist, dass es so aussieht, als würden die Pflanzen natürlich wachsen.» Er und seine Kollegen hätten sie alle selbst auf den dahinter liegenden Stein montiert, mit Schrauben, Draht und Frauenstrumpf. Der ehemalige Metallbauschlosser hat im Tierpark Bern die Zweitausbildung als Tierpfleger absolviert. Einen grossen Teil seiner Arbeitszeit widme er aber den Pflanzen und auch der Technik. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen hat er das Vivarium in eine faszinierende tropische Dschungelwelt verwandelt. Die grünen Wände stechen dabei besonders heraus.

[IMG 3]

Auch an Mauerpfeilern wachsen Anthurien, Orchideen, Rhipsalis-Arten und Bromelien wie im Regenwald einer Andenflanke Perus. Andreas Hofer spricht von den Bildern, die er im Kopf habe und umsetze. Er ist in die Tropen gereist und hat die natürlichen Biotope studiert. Dem leidenschaftlichen Terrarianer und Aquarianer ist es wichtig, dass keine künstlichen Materialien zu sehen sind, wenn er seine Pflanzen an den Mauern anbringt.

Viel Licht

Andreas Hofer verrät, wie seine grünen Wände funktionieren: «Der Wurzelballen der an der Mauer aufgesetzten Pflanzen muss feucht bleiben. Darum umgebe ich ihn mit Sphagnum-Moos und Agar-Agar, einem Algenprodukt mit einer Konsistenz ähnlich der Gelatine.» Damit liessen sich auch die Aufbindematerialien kaschieren. «Der Stein dahinter saugt Wasser auf und gibt es langsam an die Pflanzen ab. Ich besprühe sie jeden Morgen, wenn es heiss ist auch nachmittags, mit Osmosewasser.» Dabei handelt es sich um entkalktes Wasser, dem Regenwasser ähnlich.

[IMG 4]

Die Pflanzen, die an den grünen Wänden gedeihen, sind Epiphyten, also tropische Aufsitzerpflanzen. Es sind keine Schmarotzer, sondern sie halten sich in der Natur mit ihren Wurzeln an einer Felswand oder auf den Ästen eines grossen Urwaldbaums fest. So ergattern sie einen Platz an der Sonne. Ihre Nahrung sammeln sie in Trichtern, wie die Bromelien, nehmen sie über die Blätter auf, wie viele Tillandsien, oder sie begnügen sich so wie Farne, Wachsblumen oder gewisse Kakteenarten mit dem geringen Wurzelsubstrat in halb morschem Holz und Moos. In der Natur verbreitet der Wind Farnsporen oder Vögel transportieren Samen. Auch das kommt im Vivarium vor. Andreas Hofer sagt: «Manchmal wächst irgendwo eine Orchidee, ohne dass ich sie dort gepflanzt habe.» Im Vivarium fliegen Vögel frei, so wie Rothaubenturakos oder Rotkopf-Papageiamadinen. Sie picken häufig in den Pflanzen, finden Beeren und transportieren schliesslich die Samen.

Der Tierpfleger sagt: «Grundsätzlich giesse ich an allen Mauerstellen, aber nicht überall wachsen alle Arten.» Moos etwa sei heikel in Bezug auf Helligkeit, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Licht sei entscheidend, damit sich die Pflanzen entfalten könnten. Im Berner Vivarium ist es hell. Es handelt sich um ein Treibhaus mit vielen Glasflächen. Manchmal kämpfe er gegen Schildläuse. «Ich setze regelmässig Nützlinge wie Gall- und Schlupfwespen aus», sagt der Experte zum Problem mit den Schädlingen. Stark befallene Stellen behandle er mit einem biologischen Öl.

[IMG 5]

Andreas Hofer kann die Pflanzen lesen. Er sieht, wenn es einer Art nicht gut geht, wenn sie zu viel oder zu wenig Wasser abbekommen hat. Und er hat ein Herz für Schwächere. Auch im Vivarium würden sie verdrängt, würde er nicht über sie wachen. Auf Pfefferarten und Würgefeigen hält er darum ein besonderes Auge. «Wenn ich diese Arten nicht regelmässig zurückschneide, würden sie überhandnehmen und alles überwuchern, sodass andere Arten serbelten und schliesslich eingingen.» So aber bleibt die grosse Pflanzenartenvielfalt erhalten.

Die grüne Wand im Wohnzimmer

Grüne Wände können auch im Privaten realisiert werden. Allerdings gibt es Tücken. Andreas Hofer sagt: «Die Luftfeuchtigkeit ist für viele Tropenpflanzen essenziell.» Allein die Feuchtigkeit um den Wurzelballen würde nicht reichen, auch die Luftfeuchtigkeit müsse hoch sein. «Das ist bei uns im Vivarium gegeben.» Bei trockener Zimmerluft würden etliche Pflanzen braune Blattränder ausbilden. Bei einer grünen Wand im Wohnbereich sollten darum robustere Pflanzen eingesetzt werden. Philodendron-, Hoya- und Calathea-Arten, Medinillen, Grünlilien und Ampelkräuter lassen sich mit Rhipsalis, Bromelienhybriden und Geweihfarn kombinieren. Grundsätzlich findet Andreas Hofer Epiphyten und Litophyten geeignet für grüne Wände.Litophyten sind Pflanzen, die in der Natur auf Steinen gedeihen. Sie brauchen kaum Substrat und lassen ihre Wurzeln in Ritzen wachsen.

[IMG 6]

Im privaten Bereich können Pflanzen nicht einfach an einer Wand befestigt werden. Grüne Wände können aber auch in kleinerem Format mit einer Trägerplatte, die mit einer Teichfolie wasserdicht versiegelt wird, hergestellt werden. Darüber wird ein Pflanzvlies mit Taschen gespannt. Die Platte wird auf einem länglichen Wasserbehälter befestigt. Mittels eines Pumpsystems wird oben über den Vlies ständig Wasser geträufelt, das sich in einer Wanne sammelt. Anstatt selbst etwas zu basteln, können fertige Pflanzsysteme für grüne Wände auch von verschiedenen Herstellern erworben werden.

[IMG 8]

Andreas Hofer schwärmt für natürliche Materialien. Man könne auch mit Lava- oder Tuffsteinen in einer Schale einen Aufbau kreieren. «Wenn über die Steine mit einem Filtersystem stetig Wasser träufelt, können darauf Farne und Moose angesiedelt werden.» Licht, Wasser, Luftzufuhr und mineralische Nährstoffe seien ausschlaggebend für eine grüne Wand. Ohne Spezialbeleuchtung mit Pflanzenlampen ist sie im Innenraum nicht zu betreiben.

[IMG 7]

Vorbild ist immer die Natur. Auch in der Schweiz wachsen an Felswänden Gräser, Farne und Moose. Und wer zur Inspiration einen Blick in eine asiatische Tropenschlucht oder an die Felshänge des südamerikanischen Regenwaldes werfen möchte, braucht kein Flugticket. Andreas Hofer und sein Team haben diese Landschaften im Berner Vivarium perfekt nachgebildet.

 

Tipps für TerrarienIn Terrarien oder Paludarien lassen sich grüne Rückwände gut realisieren. Einerseits kann die Rückwand mit Styropor gestaltet werden. Es wird mit Terrarienharz bestrichen und mit natürlichen Materialien wie Torf beflockt. Über einen Teil sollte Wasser plätschern, das mit einem Filter aus dem darunter liegenden Wasserteil in die Höhe gepumpt wird. Das sprudelnde Wasser schafft gute Lebensbedingungen für Farne und Moose, die an der Rückwand angesiedelt werden. Zusätzlich sollte die Rückwand manuell besprüht werden. Werden Kolken eingearbeitet, um Pflanzen darin wurzeln zu lassen, ist darauf zu achten, dass sie Abflusslöcher für das Wasser haben. Die Pflanzen vertragen keine Staunässe. Auch aus Xaxim kann eine Rückwand gestaltet werden. Dabei handelt es sich um natürliches Material aus dem Stamm von Baumfarnen, das im Zoohandel erworben werden kann. Im Terrarium lässt sich ein für Tropenpflanzen ideales Mikroklima kreieren. Der Luftaustausch ist sehr wichtig.