Seit 2008 steht in Ecuador die «Pacha Mama» in der Verfassung. Die Mutter Natur, benannt nach der Anden-Göttin der Erde, wird nicht nur vom indigenen Volk des Amazonas verehrt – als Rechts-person besitzt sie seither auch Rechte im Land an der Westküste Südamerikas. In Artikel 72 der ecuadorianischen Verfassung steht: «Pacha Mama, in der sich das Leben verwirklicht und realisiert, hat das Recht, in ihrer gesamten Existenz respektiert zu werden.» Weiter könne «jede Person, jede Gemeinschaft, jedes Volk oder jede Nationalität» dazu auffordern, dass diese Rechte auch umgesetzt werden.

Ein wirksames Druckmittel

Diese Gesetzesänderung dient allem voran als Druckmittel. Sie ist ein Instrument, um Umweltverschmutzer einfacher strafrechtlich verfolgen zu können. Verstossen sie gegen die Rechte der Natur, kann man sie verklagen. So geschehen 2019, als die Regierung des ecuadorianischen Kantons Cotacachi zusammen mit Gemeinden vor Ort ein Bergwerk angriff, das Kupfer und Gold im andinen Nebelwald des Naturschutzreservats Los Cedros abbauen wollte. Das Verfassungsgericht gab ihnen Recht: Tatsächlich verstosse dieses Vorhaben gegen die Rechte der Natur. Laut Verfassung besitzt das Ökosystem nämlich ein Recht auf die Existenz von Tier- und Pflanzenarten sowie auf den Erhalt ihrer Zyklen, Struktur und Funktion des Evolutionsprozesses.

Konkret entschied das Gericht, dass die Firma Enami und Cornerstone Ecuador SA «jede Art von Aktivität im geschützten Wald von Los Cedros unterlassen»solle. Infrastrukturen, die vor Ort bereits errichtet wurden, muss die Tochtergesellschaft des kanadischen Minenunternehmens Cornerstone Capital Resources Inc. nun zurückbauen. Und: Das betroffene Gebiet muss wieder aufgeforstet werden.

Ecuador war damals das allererste Land weltweit, das diesen ungewöhnlichen Weg einschlug, nach und nach folgten weitere Länder wie Bolivien und Uganda. In anderen Ländern werden sogar Flüsse und Wälder zu juristischen Personen ernannt. Das Problem an der Sache: Die Natur in der Verfassung zu verankern hat nur dann Folgen, wenn sie auch politisch durchgesetzt werden.

Eine neue Sichtweise

Was also bringt es, wenn Pacha Mama Rechte erhält? Der Grundgedanke besteht in einer Änderung der Sichtweise. Bisher galten in den meisten Ländern nur Menschen oder Organisationen als Rechtspersonen, die Natur wurde als Sache gehandhabt. Entsprechend dienen die meisten Umweltschutzgesetze lediglich dazu, die Zerstörung der Natur zu regulieren. Tut man etwas Böses, kann man bestraft werden. Für Licht-, Lärm- und Umweltverschmutzungen gibt es Grenzwerte, die nicht überschritten werden dürfen. Auch in unserem Bundesgesetz über den Umweltschutz steht: «Dieses Gesetz soll Menschen, Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften und Lebensräume gegen schädliche oder lästige Einwirkungen schützen sowie die natürlichen Lebensgrund-lagen, insbesondere die biologische Vielfalt und die Fruchtbarkeit des Bodens, dauerhaft erhalten.»

Indem man nun aber einem nicht lebenden Subjekt Rechte zuordnet, wie eben der Natur,einem Fluss oder einem Wald, eröffnen sich ganz neue juristische Strategien. Nun muss ein Bergwerk nicht mehr konkrete Handlungen unternehmen oder gewisse Richtwerte überschreiten – es kann schon allein deswegen angeklagt werden, weil es die Rechte von Pacha Mama verletzt. Und das mit Erfolg.