In ihrer Doktorarbeit erforschte die Veterinärmedizinerin Sara Hintze an der Universität Bern und am Schweizerischen Nationalgestüt Avenches die Emotionen von Pferden. Nun ist sie aufs Schwein gekommen. «Das Thema Emotionen bei Tieren reizt mich allgemein, aufgrund der Dringlichkeit fand ich es schön, nun das Nutztier Schwein in den Fokus stellen zu können», sagt die Assistenzprofessorin.

Wobei, von Nutztieren spricht Sara Hintze nicht gerne. Lieber von Tieren, die landwirtschaftlich genutzt werden. Denn weder Schweine noch Rinder wurden als Nutztiere geboren, sie werden von uns Menschen dazu gemacht.

Schweine eignen sich besonders gut, um Symptome und Auswirkungen von Langeweile zu untersuchen, da sie höchst neugierige Tiere sind. Die Tierfreundin weiss: «Schweine sind, wenn sie denn können, fast konstant auf Erkundungstour, wühlen im Boden und probieren alle Objekte auf ihre Spieltüchtigkeit aus.» Dies stehe in einem vollkommenen Missverhältnis dazu, wie sie meist gehalten werden, nämlich in Betonbuchten auf Vollspaltenböden – einer Umgebung, wie sie reizärmer kaum sein könnte.

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Dass in einer solch öden Umgebung chronische Langeweile entsteht, wäre nicht sonderlich überraschend. Denn von Studien beim Menschen ist bereits bekannt, dass chronische Langeweile, die in direkten Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angstzuständen sowie Alkoholabhängigkeit gebracht werden kann, durch reizarme Bedingungen hervorgerufen wird.

Anders als der Mensch, kann uns ein Tier jedoch nicht beschreiben, wieso und wie es Langeweile erlebt. Woher wollen wir also wissen, ob ein Tier gelangweilt ist und was genau Langeweile für ein Schwein bedeutet?

Optimistin oder Pessimist?

Um dies zu erfahren, hat Sara Hintze mit ihrem Team ganz neue Testverfahren entwickelt. Mit Hilfe derer untersucht sie im dreijährigen Forschungsprojekt, ob Schweine in einer reizarmen Umgebung motivierter sind, für eine Veränderung ihrer Umgebung zu arbeiten, ob sie insgesamt negativer gestimmt sind und ob sie, genau wie gelangweilte Menschen, das Gefühl haben, dass die Zeit langsamer verstreicht.

Zusätzlich wird erforscht, wie sich das Verhalten der Tiere hinsichtlich des Spieltriebes oder Verhaltensauffälligkeiten unterscheidet. «Ausserdem interessiert uns, ob Tiere mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen anfälliger für Langeweile sind», so Hintze. Denn beim Menschen sei dies der Fall.

Dazu wurden zwei unterschiedliche Umgebungen für die Schweine geschaffen: Eine Gruppe wird in einer sehr reizarmen Umgebung gehalten, eine zweite erhält Anreicherungen wie Stroh und mit Erde gefüllte Kisten zum Wühlen plus zweimal täglich vielfältige neue Attraktionen. «Die aufgehängten Weihnachtstannen waren hier das absolute Gaudi.»

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Insgesamt 128 ÖHYB-Schweine, also Mastschweine aus der Kreuzung von Edelschwein, Landrasse und Piétrain-Ebern, waren in den Forschungsversuch involviert. «Wir arbeiteten ab dem Alter von vier Wochen bis zur Schlachtung mit sechs Monaten mit diesen Schweinen», erklärt die Verhaltensforscherin. «Als Erstes machten wir einige Persönlichkeitstests, um die Schweine als sehr aktiv, eher passiv oder mittelmässig interessiert einstufen zu können.»

Mit diesen Voraussetzungen wurde dann beispielsweise getestet, wie und ob sich die Zeitwahrnehmung der verschieden gehaltenen und mental eingestellten Schweine unterscheidet. Für uns Menschen vergeht die Zeit ja wie im Fluge, wenn wir etwas Spannendes oder Lustiges zu tun haben. Vergeht die Zeit auch für die gut beschäftigten Schweine blitzschnell und zieht sie sich für die Tiere in öder Umgebung wie ein Kaugummi ins Endlose?

Erst mussten die Schweine lernen, einen kurzen von einem langen Ton zu unterscheiden und sich entsprechend auf die linke oder rechte Seite des Versuchsraums zu begeben. «Dann spielten wir einen mittellangen Ton ab, um zu schauen, wie die einzelnen Schweine drauf reagieren. Und ob die Schweine aus den verschiedenen Testgruppen auch unterschiedlich darauf reagieren», erklärt Hintze.

Ein anderer Ansatz bestand darin, herauszufinden, ob die einzelnen Schweine eher positiv oder negativ gestimmt sind und wie dies mit ihrer Haltung korreliert. Erst hatten sie gelernt, dass sich in der Versuchsarena immer hinter der Öffnung ganz rechts eine Belohnung versteckt und hinter der Tür ganz links niemals etwas zu fressen zu finden ist. Wenn sich die linke Tür öffnet, haben die Schweine erfasst, dass es sich nicht lohnt, dorthin zu gehen, und bleiben stehen.

Dann hebt sich plötzlich der Schieber der mittleren Öffnung. Optimistische Schweine gehen nun dorthin, um zu überprüfen, ob eine Belohnung angeboten wird. Bleibt ein Schwein jedoch stehen, kann dies als pessimistische Reaktion bewertet werden, weil das Tier nicht davon ausgeht, Futter vorzufinden.

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Stimmungsbooster

In einem weiteren Schritt will Sara Hintze testen, wie sich bei Schweinen sogenannte Flow-Gefühle auslösen lassen. Wenn die Fähigkeiten deutlich höher sind als die gestellte Aufgabe, dann entsteht Langeweile. Wenn aber die Anforderungen genau mit den eigenen Fähigkeiten übereinstimmen, dann entsteht ein tolles Flow-Gefühl, in dem man völlig aufgeht und sich vergisst. So zumindest verhält es sich beim Menschen und stellt ein sehr positives Erlebnis dar. «Wenn wir nun Tieren in menschlicher Obhut auch ermöglichen könnten, in eine so tolle Stimmung zu gelangen, wäre das für das Tierwohl natürlich förderlich», so die engagierte Forscherin.

Die Ergebnisse der Versuche sind noch nicht ausgewertet. «Wir betreiben Grundlagenforschung, da liegt die Anwendung nicht gleich um die Ecke», erklärt Sara Hintze. Es gehe darum, Methoden aufzuzeigen, wie Langeweile und damit das Tierwohl evaluiert werden können, und noch nicht darum, konkrete Tipps zugeben, wie Schweine gehalten werden sollten.

«Es wäre schön, wenn unsere Erkenntnisse schlussendlich dazu beitragen, dass Tierwohl nicht alleine damit in Verbindung gebracht wird, wie es einem Tier körperlich geht, sondern auch, wie es sich emotional fühlt.» Bei ihrer Forschungsarbeit liege es ihr auch sehr am Herzen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was Schweine alles erlernen können und wie ähnlich sie uns Menschen auf der Empfindungsebene sind.

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Sauwohl
Auch in der Schweiz wird einiges unternommen, dass sich Schweine wohler fühlen. Einige Beispiele innovativer Mastschweinehaltung:

Auf dem Lindenberg im Luzerner Seetal bieten Antonia und Gabriel Ruckli ihren Schweinen Tiefstreu, Auslauf auf der Weide und einen Brunnen zum Abkühlen.
rucklijuniors.ch
Auf dem Landwirtschaftsbetrieb der Justizvollzugsanstalt Witzwil im Seeland leben Schweine ganzjährig in Freilaufhaltung mit zahlreichen Weidehütten als Unterstände.
ajv.sid.be.ch
Auf der Ferme en Croix im waadtländischen Vullierens dürfen die Schweine frei wählen, ob sie auf der Weide Gras fressen und sich im Schlamm suhlen oder doch lieber im Unterstand ein Nickerchen machen wollen.
lafermeencroix.ch
Auch der Biohof Schüpfenried im bernischen Uettligen bietet seinen 50 bis 100 Mastschweinen ganzjährig ein Leben unter freiem Himmel.
schuepfenried.ch
Auf dem Panoramahof in Meggen (LU) kann man Schweine bei einem artgerechten Leben beobachten – wie sie durch den Wald streifen, in der Erde wühlen und sich im Schlamm kühlen. Das Projekt der Albert Koechlin Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau bringt die meist von der Öffentlichkeit verborgen gehaltenen Nutztiere Jung und Alt näher.
schweinerleben.ch