Zahlen aus Deutschland zeigen: Je ländlicher die Region, desto geringer ist die politische Repräsentation von Frauen. Die BauernZeitung fragte bei Marlène Gerber nach, wie es in der Schweiz aussieht. In ihrer Forschung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern beschäftigt sie sich unter anderem mit Fragen der demokratischen Beteiligung.

Je ländlicher die Region, desto männlicher die Politik – auch in der Schweiz?

Marlène Gerber: Im Grunde ist es ähnlich. In der Schweiz kann man beobachten, dass eher städtisch geprägte Kantone im Schnitt einen etwas höheren Frauenanteil aufweisen als ländlich geprägte Kantone. Dies hängt damit zusammen, dass in ländlich geprägten Regionen Parteien dominieren, die einen geringeren Frauenanteil aufweisen. So lag etwa der Frauenanteil in der SVP bei den letzten eidgenössischen Wahlen sowohl bei den Kandidierenden als auch bei den Gewählten bei ungefähr 20 %, wohingegen er bei den Grünen und bei der SP gar 50 % überstieg. Bei der Mitte und der FDP liegen die Anteile irgendwo dazwischen. [IMG 2]

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Gemäss BFS beträgt die Frauenrepräsentation 2023/2024 im Bundesrat 42,9 %, im Nationalrat 38,5 % und im Ständerat 34,8 %. Kantonal liegt der Anteil etwas tiefer, 31,8 % in den kantonalen Regierungen und 33,9 % in den kantonalen Parlamenten. Zwar ein Unterschied, aber nicht dramatisch viel tiefer?

Ja, das ist richtig. Die Anteile haben in der Vergangenheit in der Regel auch meistens in ähnlichem Masse zugenommen. Bis vor den letzten eidgenössischen Wahlen 2023 war der Anteil Frauen in kantonalen Parlamenten sogar stets höher als im Ständerat. Auch ist es heute noch so, dass eine Mehrheit der Parlamentsmitglieder auf nationaler Ebene die Ochsentour durchläuft, also zuerst ein Amt auf der lokalen Ebene bekleidet, bevor der Sprung ins nationale Parlament gelingt. Allerdings weicht sich dieses Muster teilweise auf; vor allem jüngere Mitglieder rot-grüner Parteien steigen auch häufiger direkt auf Bundesebene in die Politik ein. Aber auch wenn der Unterschied im Schnitt nicht gross ist, gibt es eine grosse Spannweite. Aktuell gibt es mit den Kantonen Uri, Aargau und Wallis drei Kantone mit reiner Männerregierung, während in den Kantonen Zürich, Solothurn, Waadt und Genf Frauenmehrheiten regieren.

Warum scheint der Frauenanteil in der nationalen Politik höher als in der kantonalen Politik?

Bei den Bundesratswahlen beobachte ich, dass das Geschlecht in der medialen Debatte in jüngster Zeit stärker ins Zentrum gerückt ist, obwohl es im Unterschied zu den Landes- und Sprachregionen kein festgelegtes Auswahlkriterium darstellt. Auf kantonaler und lokaler Ebene werden Diskussionen um eine egalitäre Vertretung beider Geschlechter in den Regierungen vermutlich weniger intensiv geführt. Der markante Anstieg des Frauenanteils im eidgenössischen Parlament bei den Wahlen 2019 lässt sich mit verschiedenen Faktoren erklären: Die bedeutenden Gewinne der Grünen und der GLP haben bereits automatisch zu einem höheren Frauenanteil geführt, weil der Frauenanteil in diesen Parteien im Vergleich zu den drei grossen bürgerlichen Parteien überdurchschnittlich hoch ist. Zudem führten die Grossdemonstrationen um den Frauenstreik dazu, dass Fragen um die Vertretung der Frauen in der Politik in den Medien stark präsent waren. Ein bedeutender Einfluss wird auch der Kampagne «Helvetia ruft!» zugeschrieben, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Frauenvertretung in allen Parteien durch die Rekrutierung von Frauen und deren Positionierung auf guten Listenplätzen zu verbessern.  

Was müsste auf kantonaler Ebene geschehen?

Kampagnen wie «Helvetia ruft!» können auch dort funktionieren. Sicherlich sind die Parteisektionen in der Pflicht, wenn es darum geht, potenzielle Neumitglieder für die Partei anzuwerben oder für eine Kandidatur zu gewinnen. Vielleicht brauchen Frauen manchmal auch noch einen zusätzlichen Schubs, der sie darin bestärkt, dass ihre Stimme wichtig ist und sie die erforderlichen Kompetenzen mitbringen, da ihr politisches Selbstvertrauen noch nicht in gleichem Masse gestärkt ist wie dasjenige der Männer.

Wie schätzen Sie die Situation auf kommunaler Ebene ein?

Systematische Daten auf Gemeindeebene gibt es meines Wissens nicht, aber eine Gemeindebefragung aus dem Jahr 2017 hat ergeben, dass der Anteil Frauen in lokalen Regierungen knapp 25 % betrug und somit etwa im damaligen Bereich der kantonalen Regierungen lag.

Da müsste man jetzt ganz viele verschiedene Frauen fragen und wahrscheinlich würden die Antworten ganz unterschiedlich ausfallen.

Marlène Gerber auf die Frage, ob es für Frauen schwieriger sei, sich politisch zu engagieren als für Männer. 

Was bringen Initiativen wie das deutsche «Aktionsprogramm Kommune – Frauen in die Politik» oder in der Schweiz das Programm des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands «Mehr Frauen in die Politik»? Was braucht es, damit sie gelingen?

Solche Kampagnen können sehr viel bewirken, wenn politisch aktive Frauen noch nicht aktive Frauen mit ähnlichen politischen Positionen und/oder Lebensrealitäten ansprechen und ihnen ihre Möglichkeiten in der Politik aufzeigen. Netzwerke und Mentoring sind hier sehr wichtig. Darüber hinaus braucht es natürlich auch die Unterstützung der Partei, potenzielle Themen, die insbesondere Frauen in ihren Reihen betreffen, in ihr Programm aufzunehmen, sowie deren Bereitschaft, Neukandidatinnen gute Listenplätze zuzusichern.

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Das WEF hat 2023 berechnet, dass es beim derzeitigen Fortschrittstempo noch 162 Jahre bis zur politischen Parität der Geschlechter dauern wird. Ihre Einschätzung dazu?

Die Erfahrung zeigt, dass die Zunahme der Frauenvertretung meistens in kleinen Schritten und selten sprunghaft erfolgt. Deswegen denke auch ich nicht, dass wir so bald eine egalitäre Vertretung haben werden in den unterschiedlichen politischen Institutionen. Ich bin jetzt aber dennoch noch etwas optimistischer und behaupte, es wird nicht mehr über 160 Jahre dauern. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass je nach Ausgangslage und politischer Mobilisierung auch sprunghafte Entwicklungen möglich sind.

Ist es für Frauen schwieriger, sich politisch zu engagieren und warum?

Da müsste man jetzt ganz viele verschiedene Frauen fragen und wahrscheinlich würden die Antworten ganz unterschiedlich ausfallen. Sogar, wenn verschiedene Forscherinnen und Forscher befragt werden. So gibt es aus der Forschung keine eindeutige Meinung zur Frage, ob Frauen anders politisieren als Männer und falls, ob dies ein Hinderungsgrund für den Einstieg in die Politik darstellen könnte. Was wir etwa im Rahmen der Erforschung der Partizipation an Landsgemeinden festgestellt haben ist, dass Frauen über ein tieferes politisches Selbstvertrauen verfügen, was noch vom langen Ausschluss aus der Politik und der nach wie vor bestehenden Unterrepräsentation in den Institutionen herrühren mag. Frauen können sich für das politische Engagement also weniger befähigt fühlen und diesen Weg von sich aus seltener wählen. Häufig diskutiert werden zudem auch Vereinbarkeitsfragen. Da Frauen nach wie vor zu grösseren Teilen in die Kinderbetreuung involviert sind, sich aber auch in zunehmendem Masse im Arbeitsmarkt beteiligen, ist die Frage, wie Politik, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen sind, für Frauen sicherlich sehr relevant.

Was braucht eine Frau, die in die Politik will?

Grundsätzlich nichts anderes als ein Mann: Interesse an Politik, sowie den Willen, für die eigenen Überzeugungen einzustehen und etwas bewirken zu wollen. Das notwendige Werkzeug für die Ausübung eines politischen Amtes ist erlernbar und sollte durch die Arbeit in der Partei und das dortige Netzwerk vermittelt werden.