Kurz & bündig

- Lena und Cäsar Bürgi wenden seit sechs Jahren Low Stress Stockmanship bei ihren Tieren an.
- Das Ziel von LSS ist, Herdentiere machen zu lassen, was der Mensch will – ohne Erschrecken, Schreien oder Schlagen.
- Eine Person kann alleine ein Tier aus der Herde sortieren, nach Hause treiben und dort im Klauenstand behandeln.
- Oder man kann ein Tier weg von der Herde in einen freistehenden Anhänger verladen.
- Wer LSS beherrscht, kann sehr speditiv mit den Tieren arbeiten.
- Auf dem Betrieb arbeiten Bürgis mit einer Bud-Box, Treibgang und Klauenstand.
Die Hände in den Hosentaschen steckend, marschieren Lena und Cäsar Bürgi mit ruhigen, aber bestimmten Schritten über die Weide.
- Die beiden Landwirte führen zusammen den Betrieb Silberdistel. Er liegt auf der ersten Jura-Kette im solothurnischen Holderbank.

Bürgis demonstrieren für «die grüne» die Methode Low Stress Stockmanship LSS, zu Deutsch: stressarmer Umgang mit Rindern und anderen Herdentieren. Das Ziel von LSS ist, Herdentiere machen zu lassen, was der Mensch will – ohne Erschrecken, Schreien oder Schlagen.

Weder Stock noch sonst ein Hilfsmittel haben Bürgis dabei. Sie heben nicht mal die Arme, um die Tiere von sich wegzubewegen. Deshalb sind sie in den Hosentaschen. «So kommt man gar nicht erst in Versuchung sie einzusetzen», sagt Cäsar Bürgi.

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Zentral: Druck aufbauen und Druck wegnehmen

Bürgis demonstrieren, wie sie innerhalb von ein paar Minuten einige Kühe aus der Herde sortieren, um sie auf dem Betrieb zu behandeln (siehe Video). «Alternativ, also ohne LSS, hätten wir die ganze Herde mit nach Hause nehmen müssen», erklärt Bürgi. Doch ganz so einfach gestaltet sich die Sache beim Aussortieren nicht. Ein Jungtier will partout zurück zu seiner Mutter. Doch an Bürgi gibt’s kein Vorbeikommen: Er bewegt sich auf das Tier zu und verringert die Distanz. So entsteht Druck auf das Jungtier. Dieser Druck bewegt es zum Umdrehen. Und sofort nimmt Bürgi den Druck auf das Tier weg, indem er ihm wieder mehr Raum lässt und die Distanz vergrössert.

«Das richtige Mass an Druck ist bei LSS ein zentraler Aspekt», erklärt Bürgi, «nehme ich den Druck weg, ist das für das Tier die Belohnung.» Genauso wichtig wie der Druck sind der richtige Winkel zum Tier und der richtige Zeitpunkt. Zu viel Druck ist kontraproduktiv. «Wenn das Tier wie ein Dampfkochtopf explodiert und wegrennt, war der Druck auf das Tier viel zu gross», erklärt Bürgi.

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Effizient die Tiere zügeln oder aussortieren und behandeln

Bürgis betreiben ein intensives Umtriebsweide-System. «Unsere Tiere kommen alle zwei bis drei Tage in eine neue Weide», erklärt Bürgi. Doch es handelt sich dabei nicht nur um eine, sondern um vier Rindergruppen, die es zu zügeln gilt:

  • Kühe mit Kälbern und Zuchtstier
  • Trächtige Kühe und Stierkälber
  • Trächtige Kühe und Kuhkälber
  • bei Bedarf Jungstier-/Rindergruppe

Die Stierkälber werden nicht kastriert. «Durch unsere Unterteilung in vier Gruppen wird kein Tier trächtig, welches zu jung ist oder geschlachtet werden soll», erklärt Bürgi.

Durch die Anwendung von LSS sind Bürgis in der täglichen Arbeit mit ihren Tieren viel effizienter. Eine Person alleine kann eine ganze Herde zügeln, zu zweit ist man schneller. «Lena kann ein einziges Tier aus der Herde sortieren, nach Hause nehmen und im Klauenstand behandeln», erklärt Cäsar Bürgi.

Gar das Verladen des Stiers aus einer Mutterkuhherde in einen freistehenden Anhänger geht ganz ohne Körperkontakt. Dass das kein Hokuspokus ist, sieht man im Video von Cäsar Bürgi mit dem Stier Gordon (Siehe Video). Der Stier steigt in diesem Video erst zum zweiten Mal in einen Anhänger ein. Futter hat es im Anhänger keines.

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Locken und Kraulen sind kontraproduktiv

Respekt ist von zentraler Bedeutung, damit LSS funktioniert. «Manchmal genügt ein Blick, manchmal ein Schritt auf ein Tier zu», erklärt Bürgi. Wenn dieser Respekt besteht, kann man mit den Tieren arbeiten, denn sie weichen, wenn der Mensch das will.

Ständiges Kraulen und Hätscheln liegen deshalb nicht drin. «Das Tier ist dann zu desensibilisiert, es hat zu wenig Respekt vor dem Menschen», erklärt Bürgi. Dann könne es zu gefährlichen Situationen kommen, zum Beispiel in Ställen bei engen Platzverhältnissen.

Das andere Extrem sei, wenn ein Tier panisch reagiert, kaum sieht es einen Menschen. «Solche Tiere muss man desensibilisieren», sagt Bürgi. «Sie müssen lernen, dass ihnen in der Gegenwart von Menschen nichts passiert.» Um ein Tier zu desensibilisieren, steht Bürgi jeden Tag einige Minuten in der Nähe des Tieres, verlängert den Zeitraum und verkürzt die Distanz.

Lockfutter ist bei LSS kein Thema. Das verursache nur Stress in der Herde, weil die Tiere je nach Rangstufe befürchten, zu wenig oder nichts zu bekommen.

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Low Stress Stockmanship ist wie eine Fremdsprache

Cäsar Bürgi beschäftigt sich mit Mutterkühen seit seiner Kindheit und auch Lena Bürgi hatte während ihrer Ausbildung zur Landwirtin ständig Mutterkühe um sich. «Wir waren uns hundertprozentig sicher, dass wir wüssten, wie wir mit unseren Tieren umgehen müssen», sagt Lena Bürgi, «wir mussten am Kurs dann feststellen, dass wir das nicht konnten.»

«Vorher war der der Umgang sehr amateurhaft», sagt Cäsar Bürgi, «da wurde auch mal geschrien und gerannt und immer der andere war schuld, wenn etwas nicht wunschgemäss funktionierte.»

Bürgis setzen LSS nun seit sechs Jahren auf ihrem Betrieb ein. «Jetzt können wir es langsam ganz gut zusammen», sagt Lena Bürgi und lacht. Deshalb sortiere sie im Moment die Tiere noch lieber alleine und lasse die Lernenden zuschauen. Sobald jemand am falschen Ort stehe, funktioniere es nicht mehr. «Es ist wie eine Fremdsprache, die man Schritt für Schritt lernt», sagt Lena Bürgi.

Bud-Box, Treibgang und Behandlungsstand

Zurück zur Demonstration: Lena und Cäsar Bürgi haben die gewünschten Tiere aussortiert und sind mittlerweile beim Stall angekommen. Kein Muhen, nichts. Die Tiere sind völlig ruhig.

Cäsar Bürgi treibt nun jeweils zwei bis drei Tiere in die Bud-Box. Das ist eine Panel-Box mit idealer Grösse und Anordnung des Ein- und Ausgangs, um die Rinder in den nachfolgenden Treibgang zum Klauenstand zu schicken. Die Bud-Box wurde vom US-Amerikaner Bud Williams, dem Erfinder von LSS, entwickelt.

Sind die ersten drei Tiere im Treibgang, öffnet Cäsar Bürgi die Bud-Box und holt drei weitere Tiere hinein. «Wir können hier zu zweit sehr effizient sämtliche Tiere in den Klauenstand nehmen», sagt Cäsar Bürgi.

Für Bürgis ist der Klauenstand ein Muss auf dem Betrieb: «Hat man einen eigenen Klauenstand, wartet man viel weniger lange, um sich ein Tier genau anzuschauen, als wenn man den Klauenstand erst beim Nachbarn holen muss.» Die Bud-Box und der Treibgang erleichtern die Arbeit massgeblich.

LSS funktioniert auch vor dem Schlachten

Geht es dem Ende zu, betäuben die Bürgis ihre Tiere auf dem Betrieb selber mittels Bolzenschuss. Danach werden die Tiere mit dem Kran aufgezogen, entblutet, verladen und im nahegelegenen Schlachtbetrieb ausgenommen.

Nur eine Handvoll Schweizer Betriebe hat eine Bewilligung für die «Hoftötung». Seit Juli 2020 ist die angepasste Lebensmittelverordnung in Kraft. Damit haben die Hof- und die Weidetötung eine gesetzliche Grundlage und eine Bewilligung ist ein-
facher zu erhalten.

Cäsar Bürgi erklärt, dass er vor der Hoftötung das Tier daran gewöhnen muss, sich im Selbstfanggitter an den Kopf fassen zu lassen. «Also genau das Gegenteil von LSS», sagt Bürgi. Er desensibilisiert das Tier, indem er es ein paar Tage vor dem Schlachten jeweils zweimal pro Tag ins Selbstfanggitter nimmt und es am Kopf mit einer Bolzenschuss-Imitation berührt.

Und was ist mit all den Tieren, die in den Schlachthof müssen? «Wer seine Tiere immer mal wieder über einen Treibgang in den Klauenstand nimmt, gewöhnt es an die Situation im Schlachthof», sagt Cäsar Bürgi. Sie würden die Situation mit dem Treibgang bereits kennen und weniger Stress haben.

Noch wenig Interesse an LSS-Kursen

Der Betrieb von Bürgis ist einer von wenigen Austragungsorten für die LSS-Kurse. Das Interesse an diesen Kursen hält noch sich in Grenzen. «Ich denke, viele Leute glauben, dass sie bereits alles im Umgang mit Rindern können», sagt Cäsar Bürgi, «so wie wir das auch geglaubt haben.»

Betriebsspiegel Obere Wies

Lena und Cäsar Bürgi mit Beryll (11), Serafin (10) und Anatol (7) aus Holderbank SO

LN: 44 ha
Bewirtschaftung: Biologisch-Dynamisch
Betriebszweige:Mutterkuh-Haltung, Direktvermarktung, Verkauf von Zuchttieren: Red-Angus, Distelschweine und Burenziegen
Tierbestand:70-köpfige Red-Angus Herde, 15 Burenziegen, Bunte Distelschweine, 80 Rassehühner, Bruderhähne, 2 Urfreiberger
Kulturen: Wiesen und Weiden, Gemüsebau (Selbstversorger)
Arbeitskräfte: Lena und Cäsar Bürgi, zwei Lernende

www.silberdistel-kost.ch

So funktioniert LSS

Lena und Cäsar Bürgi haben für «die grüne» Low Stress Stockmanship demonstriert, indem sie ein paar Rinder aus der Herde sortierten und sie auf den Betrieb in den Behandlungsstand trieben. Auch die Anwendung der Bud-Box ist zu sehen. Cäsar Bürgi kommentiert im Video sämtliche Handlungen.

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Gordon wird verladen

Eine Aufgabe für Fortgeschrittene: Im Rahmen eines Kurses verlädt Cäsar Bürgi den Stier Gordon weg von den Kühen in einen freistehenden Anhänger. Es ist erst das zweite Mal, dass Gordon verladen wird.

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Low Stress Stockmanship – Kurse 2021

Low Stress Stockmanship ist eine Methode, um mit Rindern und anderen Herdentieren stressarm zu arbeiten. Mit ein bisschen Übung gelingt es dem Tierhalter, alle Arbeiten tiergerecht und speditiv auszuführen.

Die Anwendung von LSS ist vielseitig: Zum Beispiel bei Kühen, welche nicht in den Melkroboter gehen wollen oder Weiderinder, welche sich nicht in einen Behandlungsstand treiben lassen.

Kursleiter: Philipp Wenz, www.stockmanship.de 

Kurse auf dem Betrieb Bürgi
- 1./2. Mai (Intensivseminar)
- 11./12. September (Intensivseminar)

Anmeldung: unter 079 743 88 13 (C. Bürgi) oder info@silberdistel-kost.ch
Wo: Obere Wies, Holderbank SO

Kurse am Inforama
- 5. Mai (LSS im Laufstall)
- 6. Mai
- 7./8. Mai (Intensivseminar)

Anmeldung: 031 636 42 40 (Inforama), online oder inforama.waldhof@be.ch
Wo: Schwand, Münsingen BE