Kurz & bündig

- Heute gibt eine durchschnittliche Milchkuh 3,5 Laktationen lang Milch.
- Ein in der Branche breit abgestütztes Projekt untersucht nun, weshalb die Nutzungsdauer eher kurz ist.
- Es zeigt sich, dass die Nutzungsdauer von vielen Faktoren beeinflusst wird: Strategie des Betriebes, Zucht, Gesundheit der Tiere, Marktlage.
- Zwei Betriebe – einer mit eher tieferer Nutzungsdauer und einer mit höherer Nutzungsdauer – erzählen von ihren Überlegungen rund um die Entscheidung «Schlachten oder nicht».

Nach rund dreieinhalb Laktationen verlässt eine durchschnittliche Schweizer Milchkuh die Milchproduktion. Dreieinhalb Laktationen – damit bleiben die Schweizer Milchkühe meist unterhalb ihrer Maximalleistung. Denn wie Auswertungen der Herdebuchdaten durch das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau FiBL zeigen, steigt die Milchleistung bis zur sechsten Laktation ständig an. Danach bleibt die Leistung rund drei weitere Jahre auf dem gleichen Niveau.

Gehen die Kühe bereits vorher ab, bedeutet das, dass sie nicht ihr volles Potenzial ausschöpfen können. «Was weiter auffällt: Die Abgänge in der ersten und zweiten Laktation sind hoch», erklärt Michael Walkenhorst, Tierarzt am FiBL und Leiter des Projektes «Erhöhung der Nutzungsdauer schweizerischer Milchkühe».

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Projekt «Erhöhung der Nutzungsdauer von Milchkühen»
Die Projektleitung liegt beim FiBL. Hauptpartner sind die Agridea sowie die Fachhochschule für Forst-, Lebensmittel- und Agrarwissenschaften HAFL.
Mit der Arbeitsgemeinschaft Schweizerischer Rinderzüchter ASR, Qualitas sowie Agroscope, Bio Suisse, IP Suisse, Migros, RGD/KGD, SMP und weiteren Partnern sind weite Teile der Branche involviert. Im Projekt wird die Nutzungsdauer von verschiedenen Seiten her bearbeitet. Als Grundlage dienen Daten der grossen Herdebücher.

Das Projekt wird zurzeit an unterschiedlichen Orten in der Schweiz vorgestellt, so auch am Strickhof ZH, Ende Oktober, an einem Agridea-Kurs.

Workshops und Arbeitskreise sind ebenfalls Teil des Projekts. Im Gespräch mit PraktikerInnen soll eine Strategie entwickelt werden, um die Nutzungsdauer der Schweizer Milchkuh zu erhöhen. Interessierte LandwirtInnen können sich bei der Agridea melden, um an einem Arbeitskreis teilzunehmen. Kontakt: markus.rombach@agridea.ch

Aus ökonomischen und umwelttechnischen Gründen

Das Ziel des Projekts ist es, Gründe für die verfrühten Abgänge bei Milchkühen zu finden. Sobald Ursachen bekannt sind, kann in einem nächsten Schritt untersucht werden, ob und was denn nun angepasst werden kann, um die Nutzungsdauer zu erhöhen. «Wir sind noch am Anfang und wissen auf die meisten Fragen noch keine genauen Antworten», sagt Michael Walkenhorst.

Klar ist, dass LandwirtInnen ihre ökonomische Effizienz bei längerer Nutzungsdauer ihrer Kühe verbessern. Die Aufzuchtkosten werden damit effektiver abgeschrieben.

Ausserdem hat die Nutzungsdauer einen Einfluss auf die Umwelt: «Für den gleichen Output in Form von Milch sind weniger Tiere nötig, und entsprechend auch ein geringerer Input in Form von Futter. Diese verbesserte Effizienz resultiert in einer Reduktion des Nährstoffbilanzsaldos», erklärt Daniel Felder vom Bundesamt für Landwirtschaft BLW. Damit leiste die längere Nutzungsdauer einen Beitrag zum Absenkpfad Stickstoff, welcher Teil der Parlamentarischen Initiative 19.475 ist.

Das BLW hilft bei der Finanzierung des Projektes zur Nutzungsdauer der Milchkuh mit. Gemäss Umsetzungsbestimmungen zur Parlamentarischen Initiative sind neu Direktzahlungen für eine höhere Nutzungsdauer vorgesehen.

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Direktzahlungen für lange Nutzung
Ziel der Direktzahlungen ist eine Erhöhung der Anzahl Laktationen bei Kühen. Daniel Felder vom BLW stellte die geplante Massnahme am Workshop der Agridea am Strickhof ZH vor.

Für einen Beitrag wird die durchschnittliche Anzahl Abkalbungen der in den letzten drei Jahren geschlachteten Kühe herangezogen. Die Berechnung des Beitrags basiert auf Daten der Tierverkehrsdatenbank. Bei einem Durchschnitt von 3 Abkalbungen gibt es 10 Franken pro aktuellem Milchvieh-Bestand. Der Beitrag steigt linear auf 200 Franken pro Grossvieheinheit bei 7 Abkalbungen.Das Verordnungspaket zur Parlamentarische Initiative, zu dem auch die Massnahme Nutzungsdauer gehört, war bis Mitte August in der Vernehmlassung. Aktuell werden die eingegangenen Stellungnahmen ausgewertet. Verläuft alles nach Plan, wird die neue Massnahme am 1. Januar 2024 in Kraft treten.

Zwei Betriebe, zwei Strategien für die Milchviehhaltung

Die Nutzungsdauer der Milchkühe hängt von vielen Faktoren ab. Sie wird wesentlich durch die Strategie, die Philosophie und die täglichen Entscheidungen geprägt, die ein Betriebsleiter hat. Das zeigen die Betriebe der Familien Ledergerber in Herrliberg ZH und Rutishauser in Güttingen TG, die unterschiedliche Schwerpunkte auf dem Betrieb setzen.

Während Ruedi Rutishauser erstaunt feststellte, dass seine Kühe eher überdurchschnittlich alt werden (durchschnittliche Anzahl Laktationen bei Schlachtung in den vergangenen fünf Jahren von 5,6), ist Andrin Ledergerbers Herde mit einem Durchschnitt von 2,9 Laktationen eher jung beim Abgang.

«Bei uns ist die Züchtung sehr wichtig, sie ist meine grosse Leidenschaft», sagt Andrin Ledergerber. Um einen Zuchtfortschritt zu erzielen, muss eine gewisse Remontierungsrate erzielt werden. Gleichzeitig schränkt die Grösse des Stalls die Anzahl Tiere ein. Lange wurden bei Ledergerbers daher die älteren Kühe geschlachtet, um den Jungen Platz zu machen. Das ist sicherlich Teil der Erklärung der eher tiefen Nutzungsdauer. Seit Andrin und sein Bruder Domenik Ledergerber 2019 den Betrieb in Herrliberg von ihrem Vater übernommen haben, haben die Brüder die Strategie geändert. «Wir verkaufen zunehmend Jungvieh. Seither ist unsere durchschnittliche Nutzungsdauer bereits etwas gestiegen», erzählt Andrin Ledergerber.

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«Kosten und Output müssen in einem Verhältnis sein»

Für den passionierten Braunvieh-Züchter muss eine Kuh eine gute Milchleistung geben – ganz egal in welchem Alter. «Besonders stolz sind wir auf die Kühe, die bei uns bereits mehr als 100 000 Liter Milch gegeben haben. Die Kühe müssen diese Marke aber nicht zwingend erreichen. Wenn eine Kuh nach 90 000 Litern nicht mehr gesund ist, dann werde ich sie schlachten lassen», sagt Ledergerber. Natürlich seien langlebige Kühe wünschenswert: «Das ist doch das Ziel jedes Landwirts», meint Ledergerber. Doch wenn eine Kuh mehr Probleme mache oder eben nicht mehr recht gesund werde, dann müsse sie gehen. «Die Kosten und der Output müssen in einem Verhältnis sein», sagt der Landwirt. Die meisten unfreiwilligen Abgänge gehen auf das Konto der Fruchtbarkeitsprobleme, so Ledergerber. Das ist in der Schweiz einer der drei häufigsten Abgangsursachen – zusammen mit Klauenproblemen und schlechter Eutergesundheit.

Betriebsspiegel der Familie Ledergerber

Andrin und Domenik Ledergerber, Herrliberg ZH

LN: 36 ha
Kulturen: Mais, Kunstwiese, Brot- und Futterweizen, Grünland
Tierbestand: 40 Milchkühe, 40 bis 45 Jungvieh, 950 Legehennen
Weitere Betriebszweige: Direktverkauf, Gastronomie
Arbeitskräfte: Andrin und Selina Ledergerber, Domenik und Caroline Ledergerber, Eltern Dora und Peter Ledergerber.

www.schlattgut.ch

Er werde wohl nicht extra die Strategie anpassen, um die Nutzungsdauer der Milchkühe zu steigern, sagt Andrin Ledergerber. Er schaut bei der Stierenauswahl aber vermehrt auf das Fitness-Merkmal Fruchtbarkeit, um so die Langlebigkeit langfristig zu fördern.

Nicht nur Milchleistung, sondern auch Fresslust und Exterieur

Ruedi Rutishauser war nicht bewusst, dass seine Kühe älter werden als die meisten anderen Milchkühe in der Schweiz: «Ich achte nicht speziell auf die Nutzungsdauer.». Seine Strategie ist aber klar auf lange Frist ausgelegt: «Die Kühe müssen bei mir nicht gleich in der ersten Laktation Vollgas geben. Oft sind es die langsameren Starter, die länger durchhalten und in ihren späteren Laktationen erst ihr volles Potenzial ausschöpfen.»

Anfangs brauche es Geduld mit den Kühen, man dürfe sie nicht zu schnell abschreiben. «Ansonsten gehen sie verfrüht zum Schlachten», sagt Rutishauser. Er schaut nicht nur auf die Milchleistung, sondern auch auf Fresslust, funktionales Exterieur und Fitness. Sind die in Ordnung, rechnet er damit, dass sich die Kühe entwickeln und die Milchleistung zu einem späteren Zeitpunkt steigen wird. Den Fitnessmerkmalen misst er beim Anpaarungsplan besondere Bedeutung bei.

Damit eine Kuh lange lebt, muss sie auf den Betrieb passen. Bei Ruedi Rutishauser sind die Kühe breitschultrig, aber nicht zu gross. «Wir füttern keine hohe Energie- und Nährstoffdichte, wie es in Silobetrieben möglich wäre. Die Kühe sollen die Milch vor allem aus dem Grundfutter geben», erklärt Rutishauser. Seit Jahren macht er gute Erfahrungen mit Braunvieh. «Diese Rasse passt gut auf den Betrieb und sie überzeugt mich auch bei der Nutzungsdauer», so der Landwirt.

Eines ist Ruedi Rutishauser wichtig: «Wir sind kein Gnadenhof. Bei uns müssen die Tiere ebenfalls leisten. Wir lassen ihnen dazu einfach etwas mehr Zeit.» Dabei gehe er sicherlich den einen oder anderen Kompromiss ein, ist er sich bewusst. «Wir kochen auch nur mit Wasser und kämpfen beispielsweise mit Fruchtbarkeitsproblemen oder Eutererkrankungen.»

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Betriebsspiegel der Familie Rutishauser

Ursula und Ruedi Rutishauser, Güttingen TG

LN: 12,5 ha
Kulturen: Kunstwiese, Wiese und Weide, Hochstammobstbäume
Tierbestand: 25 Milchkühe, 5400 Mastpoulets, 5 Gämsfarbige Melkziegen
Arbeitskräfte: Ursula und Ruedi Rutishauser, unterstützt durch Sohn Matthias

Zurzeit sind die Schlachtviehpreise hoch. «Da ist die Hemmschwelle schon tiefer, eine Kuh zum Metzger zu bringen, wenn sie mir vielleicht nicht mehr ganz so gut passt», sagt Rutishauser.

Lange Nutzung kann auch zu lang sein

Andrin Ledergerber und Ruedi Rutishauser führen zwei unterschiedliche Betriebe. Beide möchten ihre Kühe so lange als möglich leben lassen. Beide Betriebe stehen beim Entscheid «Schlachten oder nicht» unter verschiedenen Einflüssen. Unter anderem werden sie vom Markt, der Nachfrage und den Preisen beeinflusst.

Für beide Landwirte ist auch klar, dass die Kuh gehen muss, wenn sie immer etwas kränkelt oder wenn sie anderweitig viel Zuwendung braucht, ohne die gewünschte Leistung zu erbringen.

Diese Einstellung macht Sinn. Denn eine zu lange Nutzungsdauer der Milchkuh kann ins Gegenteil kippen, kostspielig werden und auch der Umwelt schaden, indem die Kuh beispielsweise überproportional viel Futter braucht für einen Liter Milch. Die Daten zeigen allerdings, dass die Schweizer Milchkühe nicht Gefahr laufen, zu lange zu leben. Im Moment ist eher das Gegenteil der Fall.