Zwei Jahre lang ist Stefan Knecht aus Feldbach quasi durch die Hölle gegangen, und niemand konnte ihm helfen.

Der Grund: Kriechströme, oder in der Fachsprache Erdfehlerströme genannt, in seinem neuen Fischgräten-Melkstand. «Meine Kühe kamen nicht mehr freiwillig zum Melken, die Euter leerten sich nicht mehr vollständig und ich musste der halben Herde jeden Morgen und Abend Oxytocin spritzen, damit ich überhaupt noch etwas Milch im Tank hatte», erinnert sich der Jungbauer zurück.

Nach zweijähriger Tortur melkt nun seit einem Jahr ein Roboter seine 50 Kühe und das Problem Kriechstrom konnte damit behoben werden.


Viel erhofft vom neuen Stall


Vom Einzug in den neuen Laufstall im Februar 2013 erhoffte sich Stefan Knecht ein angenehmeres Melken. Die anfänglichen Störungen im Melkstand interpretierte er als Startprobleme.

Aber auch nach zwei bis drei Monaten hatte sich die Situation nicht gebessert. Die Milchmenge war deutlich tiefer als im alten Anbindestall. Auch die schlechte Persistenz war ein alarmierendes Signal.

Nach diversen Abklärungen fand man heraus, dass Kriechströme im Melkstand die Übeltäter waren. Die sensiblen Vierbeiner spürten bei jedem Melkvorgang sanfte Stromschläge an ihren Eutern und reagierten dementsprechend empfindlich.

«Als wir mit einem Messgerät das Hauptstromkabel überprüften, zeigte dieses eine Amper-Erdung von 2,5 an. Dabei sollte es eigentlich Null sein», sagt Knecht.

Trotz einer ordnungsgemäss geerdeten Stall- und Melkanlage können Kriechströme

auftreten. Dies komme vor, wenn geerdete Teile des Stalls oder der Melkanlage mit einer beständigen Fehlerstromquelle höherer Ladung in Verbindung stehen.


Mit den Kräften am Ende


Kein voller Milchtank, finanziell am Limit und ein Problem, das von einem Berater zum anderen weitergeschoben wurde, verlangte dem Landwirt alles ab. «Physisch wie psychisch war ich fast am Ende. Dazu kamen Magenkrämpfe, weil ich genau wusste, heute Abend geht die Melkerei wieder nicht! Ich weiss nicht, wie lange ich das noch durchgehalten hätte», sagt Stefan Knecht nachdenklich.

«Es ist nicht so, dass ich von Kriechstrom noch nie etwas gehört hätte. Ich hatte vor dem Stallbau grossen Respekt davor», gibt er zu. Viele seiner Berufskollegen kämpfen seit Jahren mit dem gleichen Problem. Sobald ein Roboter installiert wurde, funktionierte es.

«Das Thema wird von den Beratern und den Bauern viel zu wenig beachtet», findet er. «Fragt man jemanden, heisst es vielfach, auf meinem Betrieb funktioniert alles. Dabei stimmt das nicht. Viele wollen sich halt keine Blösse geben, um nicht einzugestehen, dass auf ihren Betrieben auch nicht alles rund läuft», so der Landwirt. «Die Bauern sind einfach nicht ehrlich genug, stehen nicht zusammen, dies beobachte ich auch in anderen Bereichen», bedauert Knecht.
 

Viel Eisen im Stall


Einen grossen Zusammenhang zwischen Kriechstrom und der Melkanlage sieht Stefan Knecht in dem vielen Eisen, welches für den Stallbau und die Melkgrube benötigt wird. «Dieses Eisen hängt wie eine Kette im ganzen Stall zusammen. Da wird ein gezieltes Erden des Stroms zur Herausforderung.» In ihrem Melkstand haben Knechts alles probiert, um den Abfallstrom, wie er von Fachleuten auch genannt wird, vorschriftsgemäss abzuleiten. Aber mit keinem endgültigen Erfolg.

«Rückblickend gesehen hätte ich Glasfaserbeton statt Armierungseisen für die Melkgrube verwenden sollen. Dies leitet viel weniger stark», ist der Landwirt überzeugt. Vor allem abgelegene Betriebe wie der von Knechts haben eher Probleme mit Kriechstrom. «Wäre ein Gebäude oder eine Fabrik in der Nähe, welche(s) mehr Strom bezieht als ich, würde der  Stall diesen Abfallstrom nicht mehr anziehen», ist er überzeugt.


«Ich konnte nicht aufhören»


Nach zwei nervenaufreibenden Jahren hatte Stefan Knecht genug von seinem Melkstand. «Aufhören zu melken konnte ich wegen der 
finanziellen Lage nicht. Und so weitermachen kam auch nicht in Frage.» Knecht entschied sich –

von Fachberatern empfohlen – für einen Melkroboter, mit der Hoffnung, endlich störungsfrei melken zu können.

«Zuerst hatte ich nur provisorisch einen Roboter auf dem Laufhof installiert. Seit einem Jahr steht er nun fest am Platz des herausgerissenen Melkstands.» Ob es an der einzelnen Box liegt oder am reduzierten Stromverkehr, auf jeden Fall gibt es seither keine Kriechströme mehr.

Gegen 100'000 Franken verloren

Wegen den Umtrieben und dem Milchausfall hat der Betriebsleiter gegen 100'000 Franken verloren. «Hinterher kann ich sagen, dass die Kühe in dem Melkstand auch gestresster wirkten. Erst recht, wenn eine Rangniedrige plötzlich neben einer dominanten Kuh stehen musste. Aus finanziellen Gründen haben wir uns damals für einen Melkstand entschieden. Eine Fehlentscheidung, die ich bis heute bereue», sagt er.

Peter Fankhauser

Mehr zum Thema Kriechstrom in der BauernZeitung vom 3. Februar 2017