Zwar hat sich erst kürzlich ein breiter Zusammenschluss für eine offenere Diskussion rund um Gentech-Züchtungen ausgesprochen, die Skepsis aber dürfte nicht überall leicht auszuräumen sein. Besonderes bei Ansätzen wie dem Auslösen von RNA-Interferenz (RNAi), bei deren Namen bereits rote Warnlampen blinken. «Wir suchen nach einer gentech-freien Lösung für RNA-basierten, sprühbaren Pflanzenschutz», betont denn auch Camilla Corsi. Sie leitet die Forschung im Bereich Pflanzenschutz bei Syngenta. Damit betritt der Konzern Neuland, denn RNA wird bisher nur in gentechnisch veränderten (GV-)Pflanzen im Ausland eingesetzt.

Die resistente Papaya auf Hawaii

«Das bekannteste Beispiel ist eine Papaya, die seit Jahrzehnten auf Hawaii angebaut wird», erzählt Jörg Romeis, der bei Agroscope die Forschungsgruppe Biosicherheit leitet. Diese Papaya sei über den Mechanismus der RNAi gentechnisch vor Virusbefall geschützt. «Auch RNAi-basierte Insektenresistenzen sind schon eingefügt worden, um Mais vor Larvenfrass durch den Maiswurzelbohrer zu schützen», fährt Romeis fort. Hierbei sei die Wirkung allerdings eher schwach gewesen, weshalb man sie mit (ebenfalls gentechnisch eingebautem) Bt-Toxin ergänzt habe.

An sich nutzt man beim Auslösen von RNAi einen natürlichen biologischen Mechanismus (siehe Kasten) und RNA-Moleküle kommen in verschiedener Form in unserer Umwelt praktisch überall vor. Über die Nahrung aufgenommen werden sie nach Einschätzung der OECD im menschlichen Verdauungstrakt zuverlässig abgebaut und stellen keine Gefahr dar. Dass somit kein in dem Sinne chemischer Wirkstoff zum Einsatz kommen würde, macht doppelsträngige (ds)RNA für den Pflanzenschutz interessant – Umso mehr, wenn der Schritt aus der Gentechnik-Ecke gelingt.

«RNA-Wirkstoffe dürften generell weniger schädlich für Nützlinge sein.»

Jörg Romeis, Forschungsleiter Biosicherheit bei Agroscope.

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Massgeschneiderter Wirkstoff

In diese Richtung zielen die Bemühungen von Syngenta. Ihr Ansatz: dsRNA zu spritzen, statt ins Erbgut einer Kulturpflanze einzugreifen. Die Forschungen des Konzerns stehen noch am Anfang, meint Camilla Corsi. In den USA wurde aber gemäss Jörg Romeis kürzlich bereits ein erstes Sprühmittel mit RNA gegen den Kartoffelkäfer zur Zulassung angemeldet. Und schon früher haben der globale Dachverband der Naturschutzorganisationen «Friends of the Earth» und Pro Natura Bedenken geäussert: Wie bei allen Pflanzenschutzmitteln (PSM) steht die Frage nach der Selektivität im Raum – Verluste an Nützlingen sind zu vermeiden.

Um zu wirken, müssen RNA-Wirkstoffe auf eine mRNA für ein lebenswichtiges Protein eines Schädlings massgeschneidert werden. «Die Technologie ist sehr selektiv», versichert man bei Syngenta. Das bestätigt Jörg Romeis: Es sei mit dsRNA möglich, nur noch eng verwandte Arten derselben Insektengattung zu bekämpfen. Sogar innerhalb einer Familie sei bei Versuchen nur die Zielart betroffen gewesen, schildert Camilla Corsi.

Selektivität ist Segen und Fluch zugleich

Bis zu welchem Grad die verwendete dsRNA von der Ziel-mRNA im Schädling ohne Wirkungsverlust abweichen kann – sprich wie hoch die Selektivität genau sein wird –, ist gemäss Romeis noch Gegenstand der Forschung. «Die Herausforderung ist, ein Ziel zu finden, dass sowohl lebensnotwenig als auch ausreichend einzigartig ist», gibt er zu bedenken. Ausserdem wirke über das Futter aufgenommene dsRNA auf viele Organismen gar nicht. Er geht daher davon aus, dass RNA-Wirkstoffe für Nützlinge im Allgemeinen weniger gefährlich sind als chemische Mittel.

Die Syngenta-Forscherin beurteilt die hohe erwartete Selektivität als Vor- und Nachteil. Zwar könnten Kollateralschäden an Nicht-Zielorganismen vermieden werden, im Feld sei aber oft mehr als nur ein Schädling am Werk. «Wir sehen sprühbare dsRNA daher nur in Kombination mit anderen Produkten als zukunftsweisend», resümiert Corsi. Dass durch das Ausbringen auf dem Feld die Kultur unbeabsichtigt gentechnisch verändert wird, sei ausgeschlossen.

«Sprühbare dsRNA muss mit anderen Produkten kombiniert werden.»

Camilla Corsi, Forschungsleiterin Pflanzenschutz bei Syngenta.

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Praxisrelevante Fragen sind noch offen

Die erste RNAi-basierte Therapie für Menschen kam 2018 zur Behandlung einer Erbkrankheit auf den Markt. Medizinische Anwendungen seien teuer, sagt Camilla Corsi. Die Preisfrage für PSM mit dieser Technologie ist noch genauso unklar, wie die erforderliche Dosierung oder die Haltbarkeit. Bei Letzterer sei der schnelle Abbau von RNA-Molekülen nach Anwendung in der Umwelt wiederum sowohl ein Vor-, als auch ein Nachteil, weil man gegenüber den Landwirten eine bestimmte Wirkungsdauer garantieren müsse. «Im Wasser oder Boden sind sie innert zweier Tage abgebaut», so Jörg Romeis. Rückstände sollten daher kein Problem werden. Gesucht sind nun aber Trägersubstanzen, dank derer der Wirkstoff im fertigen PSM länger haltbar bleibt.

Pro Natura zweifelt indes an den bisherigen Daten zur Verweildauer in der Umwelt.  Es brauche mehr unabhängige Forschung dazu.

Ein mögliches Hindernis: Resistenzen

Wird die Produktion lebenswichtiger Proteine durch RNA-PSM bzw. die ausgelöste RNAi abgeschaltet, stirbt ein Schädling. Diese Wirkungsweise macht Resistenzen aber nicht unmöglich. Maiswurzelbohrer etwa wurden laut Jörg Romeis resistent gegen die von GV-Mais gebildeten RNA-Moleküle, in dem sie diese gar nicht mehr in ihre Zellen aufnahmen. «Das bedeutet, der Schädling war in der Folge nicht nur gegenüber einer bestimmten RNA resistent, sondern hätte alle über RNAi geschützten GV-Pflanzen schadlos fressen können.» Sämtliche derartigen PSM wären nach einer solchen Anpassung des Insekts ebenfalls wirkungslos. Da es sich hierbei aber um die Ergebnisse von Laboruntersuchungen handelt, sei unklar, inwieweit Resistenzen im Feld auftreten und welche Mechanismen dort verantwortlich sind.

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Betonung auf Natürlichkeit für Zulassung in der Schweiz irrelevant

Neben der Gentech-Freiheit von sprühbarem RNA-Pflanzenschutz ist für Syngenta auch klar, dass solche Produkte als Biocontrol gelten sollten. «Wir verstehen darunter alles, war auf natürlich vorkommenden Materialien oder Organismen basiert», führt Camilla Corsi aus. Auch das in den USA zur Bewilligung eingereichte Produkt wird von den dortigen Behörden als Biopestizid behandelt.

Beim Zulassungsverfahren in der Schweiz wird kein Unterschied gemacht zwischen rein chemischen Wirkstoffen und «Biocontrol». Und dieses Verfahren müssen auch RNA-PSM – sind sie einmal zur Prüfung angemeldet – in jedem Fall durchlaufen.