Kurz & bündig
- Im Herbst 2024 startet die obligatorische Moderhinke-Sanierung aller Schafbetriebe.
- Schafhalter Roger Stöckli macht beim Pilotprojekt mit und lässt seine Schafe jetzt schon testen.
- Ist das Testresultat negativ, muss er nichts unternehmen. Ist es jedoch positiv, muss er die ganze Herde behandeln.
- Das Projekt wird von Bund und Kantonen finanziert. Die Schafhalter beteiligen sich jedoch an den Kosten und müssten eine allfällige Sanierung selbst zahlen.

Hans-Ueli Baumgartner stellt sich vor das Gatter, lässt seinen Blick über die 100 Schafe schweifen, die da stehen und in der Kälte dampfen. Er zeigt auf ein Tier am anderen Ende des Wollmeers: «Die da hinten, die sich versteckt». Das weisse Tier wird aus der Menge gefischt. Kurz nach dem Gatter legt es sich hin, die vieren von sich gestreckt, nicht glücklich über sein Schicksal.

Landwirt Roger Stöckli bewegt das Tier zum Aufstehen. Ihm gehören die Schafe, die meisten sind Schwarzbraune Bergschafe. Manche, wie das getestete weisse Tier, sind Mischungen.

Stöckli betreibt in Staffeln unweit von Bremgarten AG Acker- und Futterbau und hält neben den Schafen noch Schweine. Er und seine zwei Mitarbeiter halten das Schaf fest, während Baumgartner ein Wattestäbchen zückt, das aussieht wie die grössere Version jener, die man für Coronatests braucht.

Stöckli hebt ein Bein des Schafs in die Luft, Baumgartner führt das Wattestäbchen zwischen die Zehen des Tiers und dreht einige Male. Das wiederholt er bei allen vier Klauen, dann wird das Stäbchen in ein Röhrchen verstaut. Anschliessend beginnt die Prozedur von neuem beim nächsten Schaf, das Baumgartner auswählt.

Ein Viertel der Herden in der Schweiz betroffen

Was hier in Staffeln gemacht wird, wird in etwa einem Jahr überall im Land passieren: Die Bekämpfung der Moderhinke läuft an. Probennehmer Hans-Ueli Baumgartner ist Präsident des aargauischen Schafzuchtvereins und seit Jahren im Fachausschuss des Bundes zur Bekämpfung der Moderhinke dabei. Eine medizinische Ausbildung hat er nicht. Um die Moderhinke-Tests durchzuführen, absolvierte er eine «Grundausbildung». Doch später mehr dazu.

Moderhinke ist weit verbreitet: Studien haben gezeigt, dass die Krankheit etwa in einem Viertel der Herden der Schweiz präsent ist. Das soll sich nun ändern: «Unser Ziel ist, dass dieser Anteil bis 2029 auf unter ein Prozent sinkt», sagt die Tierärztin Camille Luyet, die das Bekämpfungsprojekt für das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV leitet.

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Moderhinke
Die Moderhinke ist eine Klauenkrankheit, die von einem Bakterium verursacht wird. Sie befällt vor allem Schafe und Steinböcke. Andere Wiederkäuer können wahrscheinlich Träger sein, die Krankheit bricht bei ihnen aber kaum aus.

Das Bakterium verursacht in den Klauen eine Entzündungsreaktion, die je nach Schweregrad bis zu eitrigen Wunden zwischen Horn und Fleisch führen kann. Manchmal ist eine Rötung zwischen den Zehen zu sehen. So lange die Entzündung nicht eskaliert, ist die Moderhinke aber schwer erkennbar. Sie verursacht dem Tier aber Schmerzen.

Mer Informationen zu Moderhinke und dem Bekämpfungsprogramm: www.kleinwiederkäuer.ch

Das Programm ist ab dem ersten Tier obligatorisch

Der Aufwand, den der Bund dafür betreibt, ist riesig. «Das ist für uns ein sehr wichtiges Projekt, aktuell ist es das grösste neue Bekämpfungsprogramm», sagt Luyet. Beim BLV ist man seit fast zehn Jahren mit der Organisation beschäftigt. Das geht zurück auf einen Schafhalter: Der frühere Bündner Nationalrat Hansjörg Hassler forderte 2014 per Motion, dass national gegen die Moderhinke vorgegangen werde. 

Motion Hassler
In Graubünden müssen Schafhalter ihre Herden seit 2003 verpflichtend auf die Moderhinke testen, bevor sie mit den Tieren auf die Alp dürfen. Zwar konnte man den Anteil betroffener Tiere so stark senken, Nationalrat Hansjörg Hassler stellte in der Motion aber fest: Solange der Rest der Schweiz nicht mitzieht, werden immer wieder neue Fälle in den Kanton eingeschleppt. Deshalb also die Motion, die angenommen wurde und jetzt umgesetzt wird.

Hassler kam damit durch. Als Folge davon wird das, was bei Roger Stöckli auf dem Betrieb schon jetzt passiert ist, zwischen Oktober 2024 und März 2025 bei jedem einzelnen Schafhalter in der Schweiz gemacht werden.

Ein Minimum an Schafen, ab dem man zum Mitmachen verpflichtet ist, gibt es nicht: Das Programm ist ab dem ersten Tier obligatorisch. Das heisst: Innert sieben Monate müssen alle etwa 15'000 Schafhalter der Schweiz mit ihren Tieren zum Test antraben. Die Tests werden fünf Jahre lang jährlich wiederholt – wiederum bei allen Tierhaltern, unabhängig von den Resultaten des Vorjahrs.

Als der Bund Kantone suchte, welche die Tests in einer Pilotphase schon vor 2024 ausprobieren, meldete sich der Aargau. Ebenfalls schon getestet wird in Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden, dem Wallis, der Waadt, Solothurn – und in Graubünden schon seit Jahren. Glarus hat ebenfalls schon vor einigen Jahren ein eigenes Programm auf die Beine gestellt.

LandwirtInnen werden zum Test aufgeboten – Zeitpunkt variiert

«Die Pilotphasen werden von den kantonalen Veterinärdiensten organisiert, wir stehen in engem Austausch», sagt Luyet vom BLV. Auch der Vollzug der obligatorischen Bekämpfung ab nächstem Jahr wird über die Kantone laufen.

Wann genau und in welcher Form die Landwirte für diese Tests aufgeboten werden, variiere deshalb. «Ich nehme an, in den meisten Fällen wird im Spätsommer und Herbst von den Veterinärdiensten konkret informiert und dann mit einem der Probennehmer ein Termin vereinbart.» Probennehmer können neben Tierärzten auch Personen ohne medizinische Ausbildung sein. «Die Rekrutierung ist Sache der Kantone.» Eine «Grundausbildung» zum Testen wird vom Bund durchgeführt werden.

Für Hans-Ueli Baumgartner war es naheliegend, diese Ausbildung zu absolvieren und selber Tests durchzuführen. «Ich begrüsse das Programm natürlich. Aber das wird schon eine grosse Übung sein, wenn dann alle testen müssen im kommenden Jahr.»

Denn die Prozedur, die im Aargau getestet wird, ist zwar simpel, aber aufwändig: In jeder Herde wird abhängig von der Grösse eine gewisse Anzahl Tiere mit Tupferproben getestet. «Studien haben gezeigt, dass das ausreicht, um den Erreger effizient festzustellen. Dafür müssen wir nicht jedes Tier einzeln untersuchen», sagt Luyet vom BLV.

Nun gibt es zur Behandlung ein Mittel ohne Antibiotika

Bei Roger Stöckli sind es 28 Tiere aus seinen drei Gruppen, die getestet werden. Die Auswahl ist nicht zufällig: «Der Bock, Neuzukäufe, solche die sich gerne verstecken oder struppig wirken, sind gute Kandidaten. Ausserdem frage ich den Landwirt, ob er hinkende Tiere hat», sagt Probennehmer Baumgartner. Die Proben werden dann in ein Labor geschickt.

Wenn keines der Tiere das Bakterium trägt, ist alles gut. Ist eine der Proben aber positiv, dann müssen alle Tiere des Betriebs behandelt werden: Während sechs bis acht Wochen werden die Tiere jede Woche zwei Mal durch ein Fussbad mit dem Klauendesinfektionsmittel Desintec (Desintec Hoofcare Special D) geführt.

Dann wird erneut getestet. Wenn immer noch Tiere den Erreger tragen, wird die Prozedur wiederholt und zwar so lange, bis der Betrieb frei von der Moderhinke ist. Im Jahr darauf wird der Test bei allen Betrieben wiederholt, egal ob sie im Vorjahr frei vom Erreger waren oder nicht.

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Ein Grund, dass die Organisation des Programms zehn Jahre in Anspruch genommen hat, ist, dass lange kein Klauenbad zur Moderhinke-Bekämpfung zugelassen war. Bis vor Kurzem musste man dafür eigentlich auf Antibiotika zurückgreifen.

«Wir wissen aber, dass bisher meistens Zink und Kupfersulfatbäder verwendet wurden.», sagt Luyet. Das wirkt, ist aber eine rechtliche Grauzone. Denn diese Mittel sind eigentlich nur zur «Klauenpflege» zugelassen. «Bevor wir von Landwirten die Behandlung verlangen, mussten wir sicherstellen, dass es ein Mittel gibt, dass sie verwenden dürfen – ohne dass grossflächig Antibiotika eingesetzt werden müssen.»

Herausforderung: Eine erneute Infektion zu verhindern

Das ist jetzt der Fall: «Die Behandlung mit Desintec ist zwar aufwändig, aber sehr effizient», sagt Luyet. Im Normalfall würden die sechs bis acht Wochen Behandlung reichen. «Je nach Platzverhältnissen kann es aber eine Herausforderung sein, Reinfektionen zu vermeiden.» Denn der Erreger kann in der Umwelt etwa 24 Tage überleben, die Flächen müssen nach der Behandlung desinfiziert werden – oder für etwa einen Monat nicht mehr genutzt.

«Der ideale Behandlungsaufbau ist: Eine Fläche, auf der die Klauen geschnitten werden, dann das Bad, durch das die Tiere durchgehen und schliesslich eine vorher noch nicht benutzte Fläche, auf der die Schafe nach dem Bad zurückkehren.»

Empfohlen werde auch, die Ställe zu desinfizieren und das Stroh auszuwechseln. Am Wichtigsten ist das nach dem ersten Bad: «Mit jeder weiteren Baderunde sinkt die Bakterienlast und damit die Gefahr.» Ein Problem seien die Klauen: «Die geschnittenen Klauen müssen wirklich gründlich entsorgt werden, darin kann der Erreger sehr lange überleben.» Wichtig sei auch, die Transporter gründlich zu reinigen und zu desinfizieren.

LandwirtInnen beteiligen sich mit 30 bis 90 Franken an den Kosten

Landwirt Stöckli sagt, auf eine solche Behandlung hätte er natürlich überhaupt keine Lust. «Das wäre für mich eine riesige Übung.» Im Aargau sind es 20 Schafhalter, die schon dieses Jahr mit den Tests beginnen, in anderen Kantonen zum Teil deutlich mehr.

Für die Landwirte ist die Teilnahme in den Testkantonen dieses Jahr noch freiwillig. Dass er sich trotz des potenziell grossen Aufwands gemeldet hat, habe mehrere Gründe, sagt Stöckli: «Machen muss ich es ja sowieso, ob ich jetzt dieses Jahr oder nächstes Jahr damit beginne, ist für mich eigentlich egal.» Zudem finde er das Programm sinnvoll: «Ich will schliesslich, dass es den Tieren gut geht. Wenn sie die Moderhinke haben, will ich es wissen.» Er glaube es zwar nicht. «Aber jeder hat mal ein Tier, das hinkt. Ich kann nicht ausschliessen, dass ich Fälle habe oder schon Fälle hatte.»

Ausserdem gibt es für Stöckli auch noch den Kostenaspekt: «Wenn ich jetzt sanieren müsste, würde der Kanton einen Teil der Kosten tragen.»

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Sobald das nationale Programm im Herbst 2024 anläuft, müssen sich die Landwirte mit 30 bis 90 Franken pro Jahr am Programm beteiligen. Jene, bei denen die Moderhinke festgestellt wird, müssen die Kosten für die Sanierung selber tragen. 25 Liter Desintec kosten etwa 280 Franken. Einige Wochen nach Behandlungsabschluss werden erneut Tupferproben genommen. An den Laborkosten der ersten zwei Testrunden muss sich der Landwirt nicht beteiligen.

Werden dann immer noch Tiere positiv getestet, muss erneut behandelt werden und danach wird wiederum getestet. Dazu, wer die Laborkosten der dritten Tests tragen würde, will man sich beim BLV aktuell nicht äussern.

Separate Alpen und Märkte sollen erneute Infektion verhindern

Während das Testen und Behandeln der Moderhinke zwar aufwändig ist, gibt es andere eigentliche Knackpunkte, sagt Luyet vom BLV. «Damit es nicht ständig Reinfektionen gibt, müssen wir Kontakte von untersuchten und nicht untersuchten Tieren möglichst verhindern, ebenso zwischen negativen und positiven Tieren.»

Das heisst, jeder Ort, an dem viele Schafe zusammenkommen, kann ein Problem sein: «Die wichtigsten Fragen sind, wie die Organisation von Sömmerung und Märkten funktionieren soll», sagt Luyet. Dafür werde man Konzepte vorlegen, die aktuell noch in Arbeit sind. Die Grundzüge der Regeln sind allerdings schon bekannt.

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In einer ersten Version des Konzepts sei noch vorgesehen gewesen, dass Betriebe, die positiv auf die Moderhinke getestet wurden, nicht auf die Alpen dürften. Davon sei man aber nach Rücksprache mit den Schafverbänden und Veterinärdiensten abgerückt. «Für viele Betriebe wäre es schlicht nicht machbar, die Tiere nicht zu sömmern.»

Jetzt sei die Einrichtung von speziellen Alpen vorgesehen für die Tiere von Tierhaltern, welche die Moderhinke noch im Bestand haben. Solche Alpen müssen künftig durch die Kantonstierärzte bewilligt werden.

Mithilfe aller Halter, um Bakterium zu eliminieren

Auf Märkte dürfen die Tiere diese positiv getesteten Halter hingegen nicht mehr, dafür wird der Halter gesperrt, bis negative Testergebnisse vorliegen. Und für Märkte wird es im ersten Bekämpfungsjahr weitere Massnahmen geben: «Bei den Märkten sehen wir vor, dass es separate Märkte gibt für die Tiere solcher Halter, die schon untersucht wurden und solche, die noch nicht untersucht sind.»

Weiter gibt es Richtlinien, die zwar nicht verpflichtend, aber sinnvoll sind: Schon getestete Betriebe sollten zum Beispiel keine Tiere zukaufen von Betrieben, die noch nicht getestet haben.

«Während den fünf Jahren, in denen wir die Moderhinke bekämpfen, brauchen wir die Mithilfe aller Halter um Reinfektionen zu verhindern und das Bakterium effizient aus den Beständen eliminieren zu können», sagt Luyet.

Das nationale Projekt dauert fünf Jahre. In dieser Zeit werden die Tiere aller Schafhalter jährlich getestet – auch wenn sie im vorherigen Jahr keine Moderhinke in der Herde hatten. Wird Moderhinke festgestellt, muss die ganze Herde behandelt werden. Allenfalls muss dies mehrmals durchgeführt werden – solange, bis ein negatives Testergebnis vorliegt.